Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
hängen. Er hatte keine Ahnung vom Boxen. Dann knallte ihm Wagner eine Rechte ans Kinn.
»Scheiße!« sagte Morris und schlug einen Schwinger, unter dem Wagner sich wegduckte. Wagner konterte und verpaßte Morris eine Links-Rechts-Kombination ins Gesicht. Morris blutete aus der Nase. »Scheiße!« sagte er wieder. Dann legte er los. Und traf. Man hörte die Schläge richtig an Wagners Schädel knallen. Wagner versuchte zu kontern, doch seine Schläge hatten einfach nicht soviel Wucht und Wildheit wie die von Moscowitz. »Leck mich am Ärmel! Mach ihn fertig, Morrie!«
Moscowitz war der geborene Puncher. Er verstaute einen linken Haken im Bauchansatz seines Gegners. Wagner schnappte nach Luft und fiel auf die Knie. Sein Gesicht war zerschunden und blutig. Er hatte das Kinn auf der Brust und sah sehr elend aus. »Ich gebe auf«, sagte er.
Wir ließen ihn hinter der Turnhalle und gingen mit Morris Moscowitz weg. Er war unser neuer
Held.
»Shit, Morrie, du solltest Profi werden!«
»Ach nee, ich bin doch erst dreizehn.«
Wir stellten uns auf die Stufen, die zum Werkraum hinunterführten. Jemand steckte zwei oder drei Zigaretten an und ließ sie herumgehen. »Was hat dieser Mensch bloß gegen uns?« fragte Morris.
»Ach Gott, Morrie, kapierst du denn nicht? Er ist neidisch! Er denkt, wir ficken die ganzen
Weiber!«
»Was ? Ich hab noch nichtmal mit einer geknutscht.«
»Ehrlich, Morrie?«
»Ehrlich.«
»Du solltest mal ‘n Trockenfick probieren, Morrie. Das ist sagenhaft gut.«
Wir sahen Wagner vorbeikommen. Er tupfte sich das Gesicht mit seinem Taschentuch ab. »Hey, Trainer!« schrie einer der Jungs. »Wie wär’s mit ‘ner Revanche?«
Er blieb stehen und sah zu uns herüber. »Macht diese Zigaretten aus!« »Ah nee, Trainer, wir qualmen doch so gern!«
»Kommen Sie doch her und sehn Sie mal, ob Sie uns dazu kriegen, daß wir unsre Zigaretten
ausmachen!«
»Yeah, kommen Sie, Trainer!«
Wagner starrte uns an. »Mit euch bin ich noch lange nicht fertig! Ich kriege jeden von euch dran! So oder so!«
»Wie wollen Sie das machen, Trainer? Sieht nicht so aus, als hätten Sie viel drauf!« »Yeah, Trainer, wie woll’n Sie das machen?«
Er ging über den Platz zu seinem Wagen. Er tat mir ein bißchen leid. Wenn sich einer so ruppig aufführte, hätte er auch das Zeug dazu haben sollen, um sich durchzusetzen. »Er denkt wahrscheinlich, bis wir hier unseren Abschluß machen, gibt’s in der ganzen Schule keine Jungfrau mehr«, sagte einer der Jungs.
»Ich glaube«, sagte ein anderer, »dem hat jemand ins Ohr gewichst, und seitdem hat er nur noch Saft im Hirn.«
Wir lösten unseren Stehkonvent auf und gingen nach Hause. Es war ein recht guter Tag gewesen.
26
Meine Mutter ging jeden Morgen zu ihrem schlechtbezahlten Job, und mein Vater, der keinen Job hatte, ging auch jeden Morgen weg. Zwar waren die meisten Nachbarn arbeitslos, aber sie sollten nicht merken, daß er genauso dran war. Also stieg er jeden Morgen zur gleichen Zeit in sein Auto und ratterte los, als fahre er zur Arbeit, und jeden Abend kam er exakt zur gleichen Zeit zurück. Mir war das sehr recht, denn so hatte ich das Haus für mich allein. Sie schlossen zwar alles ab, aber ich wußte schon, wie ich reinkam. Die Tür mit dem Fliegengitter an der hinteren Veranda hatte innen einen Haken, den ich mit einem Stück Pappe hochheben konnte. Die eigentliche Tür war von innen abgeschlossen, und der Schlüssel steckte. Ich schob eine Zeitung unten durch, stocherte den Schlüssel heraus, bis er drinnen herunterfiel, und zog ihn dann mit der Zeitung heraus. Ich schloß auf und ging rein. Wenn ich das Haus wieder verließ, hängte ich die Tür mit dem Fliegengitter ein, verschloß den Hintereingang von innen und ließ den Schlüssel stecken. Dann ging ich vorn raus und stellte das Türschloß so, daß es fest einrastete, wenn ich die Tür zumachte. Es gefiel mir, so allein im Haus.
Eines Tages machte ich mal wieder eines meiner Spiele: Luft anhalten. Auf dem Kaminsims stand eine Uhr, die einen Sekundenzeiger hatte, und davor stellte ich mich oft hin, um zu sehen, wie lange ich den Atem anhalten konnte. Jedesmal übertraf ich meinen alten Rekord. Ich stand ziemliche Qualen durch, aber ich war jedesmal stolz, wenn ich meinen Rekord um ein paar Sekunden verbessert hatte. Dieses Mal verbesserte ich mich um volle fünf Sekunden. Als ich mich wieder erholt hatte, ging ich ans Fenster zur Straße. Es war ein breites Fenster mit roten Vorhängen. Ich sah durch
Weitere Kostenlose Bücher