Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
mir doch tatsächlich zu. Nanu? Der alte Knacker. Vielleicht war er am Ende gar nicht so übel …
Auf dem Nachhauseweg hatte ich die Medaille in der Hosentasche. Wer ist schon Colonel Sussex? dachte ich. Doch auch bloß irgendein Typ, der sich den Arsch abwischen muss wie wir alle. Jeder musste sich anpassen und einordnen. Ob Arzt, Anwalt oder Soldat - es spielte gar keine Rolle. Und wenn man sich eingeordnet hatte, musste man sehen, wie man vorankam. In der Beziehung stand Sussex unter dem gleichen Zwang wie jeder andere. Entweder man kam damit zurecht, oder man verhungerte auf der Straße.
Auf meiner Straßenseite, kurz vor dem ersten Boulevard auf dem langen Weg nach Hause, gab es einen kleinen heruntergekommenen Laden. Ich blieb stehen und sah ins Schaufenster. Die Auslage enthielt verschiedene Gegenstände mit alten fleckigen Preisschildern. Ich sah einige Kerzenhalter, einen Toaster, eine Tischlampe. Die Scheibe des Schaufensters war außen und innen verschmutzt. Durch staubigen schlierigen braunen Belag erkannte ich zwei grinsende Spielzeughunde. Eine Spieldose in Form eines winzigen Konzertflügels. All diese Dinge waren zu verkaufen, doch sie wirkten nicht gerade einladend. Es gab keine Kunden im Laden, und ich sah auch nirgends einen Verkäufer. Ich war an dem Geschäft schon oft vorbeigekommen, aber ich war nie stehen geblieben, um es mir näher anzusehen.
Ich sah hinein, und es gefiel mir. Nichts tat sich da drin. Es war ein Ort zum Ausruhen und Dösen. Alles war wie ausgestorben. Ich konnte mich hier durchaus als glücklichen und zufriedenen Angestellten sehen. Solange keine Kundschaft zur Tür hereinkam.
Ich wandte mich ab und ging wieder ein Stück. Als ich kurz vor dem Boulevard auf die andere Straßenseite wechselte, sah ich fast vor meinen Füßen die breite Öffnung eines Abflußkanals. Sie wirkte wie ein großer schwarzer Schlund, der in die Tiefen der Erde führte. Ich griff in die Hosentasche, nahm die Medaille heraus und warf sie in das schwarze Loch. Sie verschwand in der Finsternis.
Als ich zuhause ankam, waren meine Eltern mal wieder beim Hausputz. Es war Samstag, und ich musste den Rasen mähen und trimmen, den Rasensprenger aufstellen und die Blumen gießen. Ich zog meine Arbeitssachen an. Unter den wachsamen Augen meines Vaters, die unter seinen schwarzen dräuenden Brauen hervorsahen, öffnete ich das Garagentor und zog vorsichtig den Rasenmäher rückwärts heraus. Die Rotorblätter drehten sich dabei noch nicht. Aber sie warteten schon gierig darauf.
42
»Du solltest dir an Abe Mortenson ein Beispiel nehmen«, sagte meine Mutter. »Er kriegt lauter Einsen. Warum kannst du nicht auch welche kriegen?«
»Henry ist einfach stinkfaul«, sagte mein Vater. »Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass er mein Sohn ist. «
»Willst du denn nicht glücklich sein, Henry?« fragte meine Mutter. »Man sieht dich nie lächeln. Lach doch mal und sei fröhlich.«
»Tu dich nicht dauernd bemitleiden«, sagte mein Vater. »Sei ein Mann!« »Lächle, Henry!«
»Was soll aus dir mal werden? Wie zum Teufel willst du’s im Leben zu was bringen? Du hast kein bißchen Pep und Antrieb!«
»Warum gehst du nicht rüber zu Abe? Sprich mit ihm und schau dir was ab von ihm«, sagte meine Mutter …
Ich ging rüber zu den Mortensons und klopfte an die Tür. Abes Mutter machte mir auf. »Du kannst nicht zu Abe. Er muss lernen.«
»Ich weiß, Mrs. Mortenson. Ich will ihn nur schnell was fragen.« »Na gut. Sein Zimmer ist gleich da hinten.«
Ich ging nach hinten. Er hatte seinen eigenen Schreibtisch. Da saß er, ein offenes Buch vor sich, das auf zwei weiteren Büchern lag. Ich erkannte das Buch an der Farbe des Umschlags: Staatsbürgerkunde. Mein Gott, und das an einem Sonntag.
Abe hob den Kopf und sah mich kurz an. Er spuckte in die Hand und vertiefte sich wieder in sein Buch. »Hi«, sagte er und las bereits weiter.
»Ich wette, du hast diese Seite schon zehnmal gelesen, du Arschloch. «
»Ich muss mir das alles einprägen.« »Ist doch alles Humbug.« »Ich muss meine Tests bestehen.« »Schon mal dran gedacht, ein Mädchen zu pimpern?« »Was?« Er spuckte wieder eine Portion Speichel in die Hand.
»Hast du schon mal einer untern Rock gesehen und noch ‘n bißchen mehr sehn wollen? Schon
mal an ihre Muschi gedacht?«
»Das ist doch nicht wichtig.«
»Na, für sie ist es aber wichtig.«
»Ich muss lernen.«
»Wir wollen ein Baseball-Spiel machen. Ein paar Jungs aus der Schule.« »Am
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