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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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eine geräumige Schreinerei eingerichtet, um die begabteren Schüler durch einen
Schreinermeister in diesem Handwerk unterrichten zu lassen. Es war leichter,
die Mädchen mit Strick-, Näh- und Hausarbeiten zu beschäftigen, als die Knaben
für einen künftigen Beruf auszubilden und in einer guten Lehrstelle
unterzubringen. Auch schien ihm das Schreinerhandwerk durch seine Reinlichkeit,
die Vielfalt seiner Verrichtungen, die den Körper auf die verschiedenste Weise
in Anspruch nehmen, durch die geistigen Ansprüche, die es stellt, durch seine
schönen, in die Augen fallenden Erzeugnisse besonders geeignet zu sein, die
Jungen nicht bloß zu beschäftigen, sondern auch für ihre Arbeit zu
interessieren. Und wenn auch durch die Ausstattung der Werkstatt und die
Einstellung neuen Personals neue Kosten entstanden, niemals durfte Mangel an
Geld der Grund sein, daß man etwas unterließ, was für die Ausbildung und
Erziehung der Kinder entscheidend wichtig war! Früher oder später — so schrieb
er 1861 — müsse die Anstalt ja doch erweitert werden. Mit Schrecken dachte er
an das Schicksal seiner Buben, wie er es so oft erlebt hatte: entweder fielen
sie nach ihrer Entlassung in ihren ganzen alten Stumpfsinn zurück und führten
zu Hause ein ziel- und freudeloses Dasein, oder sie fanden keinen Meister, der
sich ihnen mit Liebe widmete.
    Es klang wie ein Notschrei:
»Hätten wir eine gewerbliche Bildungsanstalt, in welcher solche jungen Leute
neben dem Besuch der Anstaltsschule zugleich ein Handwerk oder sonst irgendeine
nützliche Beschäftigung erlernten, dann könnten wir die Konfirmierten behalten,
sie weiter ausbilden, andere junge Menschen mit entsprechender Vorbildung dazu
aufnehmen und der Not und dem Unglück in vielen Familien, auch in besseren
Ständen, steuern. Ja, die Anstalt wäre dann ein Zufluchtsort für alle früheren
Schüler, die draußen Schiffbruch erleiden und hierher zurückkehren könnten, um
aufs neue beraten, ausgerüstet und versorgt zu werden.«
    Schon malte sich Landenbergers
nimmermüder Geist eine Erweiterung der Anstalt aus: Wohn- und Schlafräume für
Lehrlinge und auch mehr Werkstätten sollten geschaffen werden, wobei er es der
Zukunft überlassen wollte, welcher Art die Beschäftigung sein würde. Es war,
als ließe ihm die dampfende, fauchende Eisenbahn keine Ruhe, als müßte er mit
immer neuen Plänen und Entwürfen für die Zukunft seiner Kinder sorgen.
    Er wußte sich dabei nicht etwa
als einen selbständigen Unternehmer, der nur darauf bedacht ist, sein blühendes
Geschäft zu vergrößern, sondern als den Beauftragten der Barmherzigkeit Gottes
und der Menschen. Und wenn schon das fehlende Geld ihm keine Sorge machte, wenn
er vielmehr der Liebe seiner Mitchristen zutraute, daß sie ihm hülfe, so war da
doch die andere und größere Sorge: Gab es denn Handwerksmeister, die nicht bloß
in ihrem Fach tüchtig, von Charakter und Gesinnung untadelhaft wären, sondern
die auch die nötige Bildung, Erziehungs- und Lehrgeschicklichkeit besäßen oder
doch wenigstens Verstand und Herz, um sich solche im Lauf der Zeit zu erwerben?
    Es war eine Frage an das Volk,
in dessen Mitte er lebte: Werden sich Menschen finden, die bereit sind, mit
etlichen Schwachsinnigen mehrere Jahre als Lehrer und Erzieher zusammenzuleben?
Gab es in der Christenheit Leute, die sich nicht von der so weit verbreiteten
Gewinn- und Genußsucht anstecken ließen, sondern die innere Freiheit besaßen,
für die Ärmsten der Armen, für die, die »an der Grenze« leben mußten, ein paar
Jahre ihres Lebens zu opfern, ihrem Volk zuliebe und vor allem zur Freude ihres
Herrn und Meisters, aber auch für sie selbst zu bleibendem inneren Gewinn?
    Er konnte die Frage nur
stellen, sie immer wieder hineinrufen in die Familien und Werkstätten.
     
    Der Bau der Eisenbahn im
Remstal brachte es mit sich, daß die Zahl der Besucher von nah und fern sich
mehrte.
    Eines Tages wurde ein Professor
Wunderlich aus Leipzig gemeldet.
    Dieser Besuch hatte eine
Vorgeschichte. Landenberger war darauf aufmerksam gemacht worden, daß Professor
Wunderlich in Leipzig in seinem Buch über »Pathologie« sich sehr abfällig über
den Religionsunterricht bei Schwachsinnigen geäußert hatte. Das religiöse
Wissen sei bei solchen Kindern eine bloß angelernte Wortsache ohne
entsprechendes Verständnis, hatte er geschrieben. »Der Unterricht«, so hieß es
da, »darf nicht danach trachten, durch Erlernen einzelner Bibelsprüche und das
mechanische

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