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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Gemeinde zur Last.
    Der Inspektor erwiderte dem
Pfarrer, er danke dem Kirchengemeinderat herzlich für seine Spende, deren
Begründung ihn an das Wort erinnere: »Seid klug wie die Schlangen und ohne
Falsch wie die Tauben.« Er werde sich erlauben, dieses verständnisvolle
Verhalten der Gemeinde gelegentlich auch anderen als Vorbild hinzustellen. Die
Hauptsache sei, daß Gemeinde und Anstalt sich darüber freuen könnten, daß die
Arbeit in Stetten nicht vergeblich sei.
    Er dachte dabei unwillkürlich
an jene »Schwarzwaldheilige«, die als Witwe auf einem einsamen Schwarzwaldhof
im Ausdinghäuschen lebte und nichts mehr zu tun hatte, als ihre Enkel zu hüten.
Vor dreizehn Jahren war ihr jüngster Bub in Stetten an Epilepsie gestorben.
Seitdem legte sie jeden Sonntag 10 Pfennig für die Anstalt zurück, und an
Weihnachten schickte sie das Ersparte mit einem Säcklein selbst gesammelter,
getrockneter Heidelbeeren nach Stetten. Trotz allem Abraten hielt sie unbeirrt
daran fest, auch wenn sie sich den Zehner vom Munde absparen mußte. Ihr Bub
habe sich in der Anstalt unter seinen Leidensgenossen so wohl gefühlt, sagte
sie, und sei so glücklich gewesen. Sie habe es selbst erlebt, wie ihn bei einem
Anfall der Wärter auf die Arme genommen, behutsam wie eine Mutter in sein Bett
gelegt, ihm die nassen Haare aus der Stirn gestrichen und den Schaum vom Munde
gewischt habe und bei ihm sitzengeblieben sei, bis alles vorbei gewesen. Das
konnte sie nicht vergessen, und deshalb schickte sie Jahr für Jahr der Anstalt
ihr Opfer.
     
    Nein, sie war nicht vergeblich,
die Arbeit in Stetten.
    Der Inspektor mußte sich das
immer wieder sagen, weil damals, als das 19. Jahrhundert zu Ende ging, die
Stimmen sich mehrten, die meinten, der Schutz der Schwachen müsse aufhören,
wenn die Menschen beim Kampf ums Dasein vorwärts kommen wollten. Die Pflege der
Kranken, Schwachsinnigen, Blinden, Taubstummen sei Unsinn. Im künftigen Staat
müßten die Ärzte bestimmen, welche schwachen, mißgestalteten Kinder weiterleben
dürften.
    Er wußte wohl, woher diese
Weisheit stammte, die die Pflege der hoffnungslos Leidenden als eine
Versündigung am Wohl der Menschheit betrachtete. Noch lebte der Philosoph, wenn
auch im Irrenhaus, der der aufhorchenden Menschheit die Lehre vom
»Übermenschen« verkündet hatte, um dessen Züchtung willen das Schwache,
Ohnmächtige, Kranke dem Starken, Mächtigen und Gesunden zu weichen habe, ja
sich freiwillig opfern müsse. Die christliche Predigt der Nächstenliebe und des
Mitleids, so hatte er gelehrt, sei eine Erfindung der Schwachen, die sich
dadurch selbst vor dem Untergang schützen wollten. Ein kühner Prophet, der den
Anspruch erhob, etwas völlig Neues an die Stelle des Alten und Morschen zu
setzen!
    Aber hatten nicht schon die
alten Spartaner vor bald dreitausend Jahren ähnlichen Grundsätzen gehuldigt,
ohne dabei die Ärzte vorher um Rat zu fragen? Was war das für eine Welt, in der
man den Menschen mit dem Tier verwechselte und bereit war, um der Zukunft des
Menschen willen das Unmenschliche zu tun! War das nicht der Bankrott des zu
Ende gehenden Jahrhunderts?
    Es gab darauf nur eine Antwort:
das Werk der Barmherzigkeit nun erst recht und mit vermehrter Liebe in Angriff
zu nehmen.
    Als Inspektor Strebel in seinem
Bericht vom Jahre 1897 diese Losung ausgab, konnte er nicht ahnen, daß rund 40
Jahre später die unmenschliche Theorie in die noch unmenschlichere Tat
umgesetzt werden sollte. Wer seinen Bericht von damals liest, glaubt das
Grollen eines fernen Gewitters zu vernehmen.
     
    Aber noch war das neue
Jahrhundert nicht angebrochen. Die Anstalt rüstete sich, ihren 50. Geburtstag
festlich zu begehen.
    Er wurde am 17. Mai 1899
gefeiert, an einem strahlenden, goldenen Tag, der noch lange in der Erinnerung
der Großen und der Kleinen nachleuchtete.
    Es war der Tag der Unmündigen
selbst. Sie hatten Hunderte von Kränzen und Girlanden gewunden, die sich von
Haus zu Haus spannten, von Baum zu Baum, über Türen, Tore und Fenster. Sie
hatten geholfen, die Inschriften zu malen, die Fahnen zu nähen, die Fenster zu
schmücken. Über dem Eingangstor zur Anstalt lasen die hereinströmenden Gäste
das Wort aus Psalm 126: »Der Herr hat Großes an uns getan.« Das bedeutete, daß
die Verbannten und Geächteten hier eine neue Heimat gefunden hatten und den an
Leib und Seele Geschlagenen ein neues Leben geschenkt worden war.
    Die epileptischen Knaben
ermahnten sich selbst zu Eintracht und Frieden: »Siehe, wie

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