Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten
dort
unterzubringen.
Schon am 24. Oktober 1900 wurde
das Schulhaus eingeweiht.
Ein neuer Freudentag für alt
und jung, an dem auch 30 Seminaristen vom nahen Lehrerseminar in Eßlingen
teilnahmen.
Oberlehrer Thumm hatte sich
etwas Besonderes ausgedacht. Bei der Feier in der Turnhalle sollten die Kinder
zeigen, ob sie auch einmal selber Schule halten könnten. Eines der Kinder
spielte den Lehrer. Daß die Schüler die gefragten Sprüche und Verslein ohne
Widerspruch aufsagen würden, dessen konnte der kleine Lehrer sicher sein. Aber
als er einen roten Kopf bekam, weil einer seiner Schüler steckenblieb und er
selber nicht wußte, wie es weiterging, kam aus dem Hintergrund, wo die vielen
schwarzberockten Männer saßen, eine wohlbekannte väterliche Stimme, die der
gespannt zuhörenden Versammlung zeigte, daß bei besonderen Anlässen das Einsagen
erlaubt sei. Sie gehörte natürlich dem geliebten Oberlehrer, auf den man sich
verlassen konnte, weil er immer ein Lächeln für seine Kinder übrig hatte.
Kaum war diese Prüfung für
Lehrer und Schüler glücklich zu Ende gebracht, da geschah etwas ganz Unerwartetes.
Es erschien nämlich, zwar ohne Krone, aber an seiner Uniform, seiner Perücke,
seinem Dreispitz deutlich erkennbar, kein Geringerer als Friedrich Wilhelm I.,
König von Preußen, auch der »Vater« genannt, um, wie er sagte, nach seiner
Gepflogenheit diese neue Landschule zu besuchen und Visitation zu halten. Es
liege ihm vor allem daran, sagte er, daß seine künftigen Untertanen gut rechnen
könnten, und er stellte deshalb einige nicht gerade schwere Aufgaben, die sie
zu seiner Zufriedenheit lösten. Er lobte sie sehr und betonte, wie wichtig für
sie das Rechnen sei, wenn aus ihnen ordentliche Kaufleute, aber auch Handwerker
werden sollten. Denn diese müßten nicht bloß ihr Handwerk verstehen, sondern
ihre Arbeit auch zu einem angemessenen Preis an den Mann bringen können.
Dann interessierte er sich
besonders für das Fach der Religion. Er fragte nach den Zehn Geboten und ließ
sie aufsagen, bemerkte väterlich, auch er als König müsse sich an die Gebote
halten, und wenn er sie übertrete, dann setze Gott ihn ab, weil er sich das von
einem König am wenigsten gefallen lasse.
Vielleicht weil er das in einem
so freundschaftlichen Ton sagte, wollte einer der Buben wissen, was er dann
tue, wenn er nicht mehr König sei.
»Ja, dann muß ich zum lieben
Gott in die Schule gehen und die Gebote von vorne lernen.«
»Au, des isch aber arg«, sagte
ein anderer, »do dät i se lieber halte!«
»Nicht wahr, das meine ich
auch. Ich bin also der König von Preußen. Kennet ihr auch noch andere Könige
außer mir?«
»Unser König Wilhelm!« — »Der
ist in Stuttgart!« — »I han en scho gsehe!« So ging es durcheinander.
»Ja, das ist euer guter
Landesherr. Aber den meine ich nicht. Wißt ihr einen aus der Bibel?«
»David!« antworteten mehrere
gleichzeitig.
»Und wie hieß sein Sohn?«
»Absalom!«
»Und was für ein Ende nahm es
mit dem?«
»Der blieb mit seinen Haaren an
einem Baum hängen, und dann kam ein Soldat und stieß ihn mit seinem Speer durch
und durch.«
»Warum denn?«
»Er wollte selber König
werden.« — »Er wollte seinen Vater umbringen.«
»Das war aber böse. Darf man
denn das?«
»Nein, Gott hat gesagt: ›Du
sollst nicht töten‹.«
»Recht so. Siehst du, da sieht
man, wie es einem geht, der Gottes Gebote nicht hält. Es gibt auch noch ein
anderes Gebot, an das ihr hättet denken können. Wie heißt denn das?«
Schweigen. Sie sahen sich an.
Der König half: »Wer war
Absaloms Vater?«
»König David.«
»Und was wollte Absalom tun?«
»Seinen Vater umbringen.«
»In welchem Gebot ist denn von ›Vater
und Mutter‹ die Rede?«
Da kam die Antwort im Chor: »Du
sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.«
»Seht ihr, auch gegen dieses
Gebot hat sich der Absalom versündigt. Darum mußte er sterben. So ernst meint
es Gott mit seinen Geboten. Merkt es euch!«
Nun verabschiedete sich der
König von Oberlehrer Thumm: »Mach er nur so weiter! Seine Kinder wissen
Bescheid. Gottesfurcht ist der Anfang aller Weisheit!«
Oberlehrer Thumm machte eine
Verbeugung und sagte zu den Kindern: »Steht auf und ruft: ›Heil unsrem König,
Heil!‹«
Und laut erscholl es aus der
Kinder Mund: »Heil unsrem König, Heil!«
Nachher sagte ein ganz schlauer
zu seinem Kameraden: »Du, des isch fei kei König gwea — des war onser Schulrat!
I han en an dr Stemm kent.«
»A wa«,
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