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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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da
unterbrach ihn der Lehrer:
    »Ist schon recht, Christian,
das hast du uns schon oft erzählt, und dafür hast du es jetzt ja besser, aber
der arme Mann hatte nicht genug Holz, um im Winter das Zimmer zu heizen. Da
mußten die Kinder frieren und wurden krank.
    Eines Tages brachte der Vater
ein Lämmlein nach Hause, das hatte er von seinem Zahltag gekauft.«
    Was denn ein Zahltag sei,
fragten die Kinder, und einer sagte: »Das ist der Tag, wo der Vater sein Geld
ausbezahlt kriegt, und dann hat er immer einen Rausch.« Die Kinder lachten,
aber der Lehrer machte ein ernstes Gesicht:
    »Nicht alle Väter machen es so,
und dieser Vater wollte seinen Kindern eine Freude machen, deshalb kaufte er
ihnen das Lämmlein. Das fühlte sich wohl bei ihnen, aß mit ihnen aus der
Schüssel und trank aus ihrem Becher; bei Nacht schlief es in des Vaters Schoß,
und es wurde von allen so geliebt, als wenn es ihr Schwesterlein wäre.
    Eines Tages bekam der reiche
Mann Besuch. Er wollte ihm einen guten Lammbraten vorsetzen. Aber obwohl er
eine große Schafherde besaß, war er zu geizig, eines von seinen Lämmchen zu
schlachten. Was tat er? Er ging hin und holte sich einfach das Lämmlein des
armen Mannes und trug es schnell nach Hause. Der arme Mann braucht kein
Lämmlein, dachte er, früher hat er auch keines gehabt. Er nahm es ihm also
einfach weg.«
    »Er hat es gestohlen«, riefen
die Kinder. — »Er hat es dem armen Mann nicht gegönnt.« — »Der gehört ins Gefängnis«,
meinte einer der Buben. »Nein«, rief ein anderer, »den muß man köpfen.« So ging
es durcheinander. Und der kleine Christian sagte: »Man muß ihm alle seine
Schafe wegnehmen und sie dem armen Mann geben.«
    »Ihr habt recht: das war
Diebstahl, und in der Bibel steht: ›Du sollst nicht stehlen‹. Merkt es euch
wohl! Was hat Gott gesagt?«
    »Du sollst nicht stehlen!« Und
alle wiederholten: »Du sollst nicht stehlen!«
     
    Aufmerksam hatte die Königin zugehört.
Nun erhob sie sich und lobte die Kinder: »Ihr habt aber fein aufgepaßt! Merkt
es euch gut für euer ganzes Leben, was euch der Herr Thumm erzählt hat!«
    Dann winkte sie ihm: »Wir
müssen weiter. Noch auf ein Wort, Herr Thumm — draußen!«
    »Sagen Sie mal«, sagte sie vor
der Tür zu ihm: »War das nicht das Gleichnis, das der Prophet — na, wie hieß er
denn gleich? — «
    »Nathan, Majestät.«
    »Ganz recht, das der Prophet
Nathan dem König David erzählte? Warum sagten Sie eigentlich den Kindern davon
nichts?«
    »Weil es noch zu hoch ist für
sie, Majestät. Die Geschichte wird in einem späteren Schuljahr wiederholt.
Heute kam es mir nur darauf an, den Kindern das 7. Gebot einzuprägen.«
    »Ich glaube, daß es die Kinder
nicht vergessen. Sie haben das sehr schön erzählt. Aber nicht wahr, einmal
müssen die Kinder den ganzen Zusammenhang erfahren?«
    »Gewiß, Majestät, soweit sie
ihn verstehen können.«
    »Mir liegt daran, daß sie die
volle Wahrheit erfahren. Sie verstehen?«
    »Auch uns liegt daran,
Majestät.«
    »Haben Sie Dank! Es war eine
schöne Stunde.«
    Oberlehrer Thumm verneigte
sich. Im Schulzimmer entstand ein Geschrei; er griff schnell nach der
Türklinke.
    Die Königin grüßte lächelnd und
ging weiter. Sie wollte alles sehen: das Schloß mit den Zimmern der Pensionäre,
das Männer-, Mädchen- und Knabenhaus, den schönen großen Stall, die
Korbmacherei, wo sie mehrere Körbe bestellte, und die Schloßküche, in der
täglich für 350 Menschen gekocht wurde. Zuletzt begab sie sich in den
Schloßgarten und schaute dem Turnen der Knaben und den Reigen der Mädchen zu
und äußerte sich sehr erfreut darüber, daß die Leibesübungen in der Anstalt
nicht zu kurz kämen. Den Abschluß ihres Besuchs bildete ein einfacher Imbiß,
während der Singchor zwei festliche Chöre aus dem »Judas Makkabäus« erschallen
ließ.
    Als sie ihre Kutsche bestieg,
hatte sich die ganze Anstalt wieder versammelt, und immer aufs neue ließen die
Kinder sie hochleben. Sie winkte noch aus dem Fenster mit der Hand, dann zogen
die Pferde an, der Wagen rollte durchs Tor, und fort war sie — wie die
Erscheinung aus einer höheren Welt, wie eine jener guten Frauen, von denen die
Märchen erzählen. Die Kinder sprachen noch lange von ihr und dem guten Vesper,
das sie ihnen gestiftet hatte.
     
    Solche Tage waren Festtage für
die ganze Anstalt, für Gesunde und Kranke, Alte und Junge. Sie leuchteten noch
lange in der Erinnerung nach.
     
    Aber manchmal erlebt der
Inspektor in aller Stille

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