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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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ein Millionenprojekt, wie man sagte, aber in
Wirklichkeit nichts anderes als ein Wagnis des Glaubens und der Liebe. Man
fühlte sich in Stetten nicht bloß als »letzte Station«, dazu bestimmt, die
Schwächsten und Elendesten aufzunehmen, die Unreinlichen und Unheilbaren, die
völlig Bildungsunfähigen, die in besonderem Maße der barmherzigen Liebe
bedürfen, nein, man wollte auch »Ausgangsstation« sein für die glückliche Fahrt
in körperliches und geistiges Erwachen.
    Als die kleine Anneliese im
Dezember 1949 mit drei Jahren in die Anstalt kam, da konnte sie noch nicht
stehen und gehen und kein Wort sprechen, nur in unerklärlichen Wutanfällen Tag
und Nacht schreien. Nach dreieinhalb Jahren war sie völlig verwandelt, sprach
und spielte wie andere Kinder ihres Alters und half der Pflegerin mit großer
Freude bei der Versorgung ihrer schwächeren Zimmergenossen und bei ihren
täglichen Arbeiten.
    Der kleine Hermann malte, als
er nach Stetten in die Schule kam, immer nur merkwürdig zusammengedrängte,
knorrige Bäume. Nach einem Jahr ermunterte ihn sein Lehrer, wieder einmal einen
Baum zu malen. Und siehe: da wurde es ein weit ausladender Baum mit seinen
verzweigten, den ganzen Papierbogen füllenden Ästen und sorgfältig gestalteten
Blättern. Als nun der Lehrer die Zeichnung aus einer Anfangszeit danebenhielt,
war der Kleine entsetzt und wollte den Knuppelbaum, wie er ihn nannte,
zerreißen. Dabei sagte er ein merkwürdiges Wort: »Ja, damals habe ich noch
Angst gehabt.« Was war in der Seele dieses Kindes vorgegangen, daß er nun
innerlich so frei geworden war? Die mütterliche Liebe seiner Erzieherin hatte
ihn von der Angst befreit, so daß er sich voller Liebe nicht bloß den Bäumen,
sondern auch den Menschen hingeben konnte. Rührend sorgte er für einen
körperbehinderten Knaben und freute sich schon als Kind darauf, daß er einmal
Gärtner werden dürfe. Er wird seine Pflanzen und Blumen mit Liebe pflegen, weil
er selber die Liebe erfahren hat, die Verkrampfungen löst und Angst vertreibt.
    Und dann war da Walter mit
seinen epileptischen Anfällen. Nach der Schulentlassung machte er seiner Mutter
viel Sorge und Not. Sie wurde nicht mit ihm fertig, und kein Meister wollte ihn
behalten. So kam er schließlich nach Stetten, wo er seine Anfälle verlor. Er
bestand seine Gesellenprüfung als Sattler mit »gut« und konnte nach Hause
entlassen werden. Bald fand er eine Arbeitsstelle in seinem Handwerk. Eines
Tags schrieb die Mutter nach Stetten einen Brief: »Walter ist, Gott sei Dank,
wieder so hergestellt, daß er den Kampf ums Dasein selbst auf sich nehmen kann,
und ich hoffe, daß es sich nicht wiederholt. Als ich ihn damals in die Anstalt
brachte und sah all die armen Menschen dort, wovon ich vorher keine Ahnung
hatte, und mußte meinen Walter auch dort lassen, da war ich dem Verzweifeln
nahe. Durch die monatelangen Aufregungen und das Versagen jeder ärztlichen
Kunst war ich selbst mit den Nerven bald am Ende. So wie ich damals von der
Anstalt weg bis zum Bahnhof Stetten geweint habe, tat ich es in meinem
50jährigen Leben noch nie. Als ich zu Hause die großen Aufregungen nicht mehr
hatte, wurde ich langsam ruhiger. Ich konnte nichts mehr für meinen Buben tun
als beten, ja, ich glaube, damals den Himmel bestürmt zu haben. Bei meinem
ersten Besuch dort sah ich noch nicht viel von Besserung, aber ich ging
beruhigt nach Hause, denn ich sah, daß mein Bub in sehr guten Händen war und
auch sonst alles hatte, wie er’s bei mir nicht besser haben konnte. Nun ist
diese große Sorge von mir genommen, und ich möchte Ihnen allen, die Walter so
viel Gutes getan haben und mit ihrer Güte und Liebe zu seiner Gesundung
beigetragen haben, von ganzem Herzen danken... Zu Ihrem wunderbaren Wirken
möchte ich Ihnen Gottes reichen Segen wünschen.«
    Da war es wieder: das Wort
»wunderbar«. Einst hatte es das »wunderbare Etwas« geheißen. Ach, sie wußten in
Stetten nur allzu gut, daß sie keine Wunder tun konnten. Sie erfuhren immer
wieder ihr Versagen und mußten in bitteren Erfahrungen lernen, daß man gerade
im Dienst der Menschenführung nur von der Vergebung leben kann, und das schloß
jedes falsehe Selbstvertrauen aus. Aber sie wußten auch, daß sie niemanden
aufgeben durften, der ihnen anvertraut wurde, und daß sie darum alles daransetzen
mußten, die quälende Raumnot zu überwinden, die weiteren 170 Kranken
aufzunehmen, die »draußen vor der Tür« warteten und bisher vergebens um Einlaß
gebeten

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