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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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untergebracht waren. Sie wußten nichts von den
großen Herren und ihren Reden, aber sie spielten Geburtstag, indem sie eine
Windel auf einem Hocker ausbreiteten und eine zusammengeknüllte Hose darauf
legten, die einen Pudding darstellen sollte. Daneben lag ein dicker Faden, ein
Schürsenkel und ein Bauklötzchen. Das waren die Kerzen. Mit gefalteten Händen
setzten sich die Kinder im Kreis herum und sangen mit und ohne Worte andächtig
das Geburtstagslied: »Weil ich Jesu Schäflein bin.« Sie ließen das
Geburtstagskind hochleben und bliesen dann mit Anwendung aller Lungenkraft die
Kerzen aus. Und wenn auch der kleine Gerhard mit lauter Stimme verkündete:
»Butztag aus!«, so begannen sie doch das Spiel von neuem, bis eines nach dem
andern Geburtstagskind hatte sein dürfen.
    Nach alledem ist es nicht mehr
verwunderlich, daß schon vier Wochen später der Landtag in Stuttgart beschloß,
»alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, daß das vom nationalsozialistischen
Staat gegen die Heil- und Pflegeanstalt Stetten i. R. begangene Unrecht
baldmöglichst wiedergutgemacht und dieser die Möglichkeit gegeben wird, ihren
vollen Pflegebetrieb wieder aufzunehmen, ferner zu prüfen, ob durch Vermittlung
eines größeren Kredits die Stadt Stuttgart den Wiederaufbau ihrer Krankenhäuser
beschleunigen kann, um die Anstalten ihrem eigentlichen Zwecke wieder
zuzuführen«.
     
    Die Kinder hatten einen
geheimnisvollen Fürsprecher, der auch hinter der Szene die Herzen zu bezwingen vermochte,
so daß sie, ob sie wollten oder nicht, die dringende Botschaft hören mußten:
»Lasset die Kindlein zu mir kommen!«
     
    Aber das Ringen ging weiter.
Allenthalben war die Not noch groß, und das Geld war knapp! Und doch kam der
Tag, an dem der Festbericht verkünden konnte: Die Anstalt, aus der wir im
Dezember 1940 mit unseren Pfleglingen vertrieben wurden, ist uns wieder
übergeben worden!«
    Das war am 8. Juni 1952.
    Zwölf Jahre hatte das Exil
gedauert, jetzt war die Anstalt wieder daheim, ein Spätheimkehrer sozusagen,
und wie ein solcher mit Staunen, Jubel und Dank begrüßt.
     
    Ein neues und fröhliches
Schaffen begann, und wieder wandte sich die besondere Liebe der Schule zu. Seit
den Tagen Landenbergers war ja in Stetten das Bestreben gewesen, die schwachsinnigen
Kinder wenigstens so weit zu fördern, daß sie in der Lage waren, sich selbst zu
versorgen in allen täglichen Hantierungen und sich dabei in eine Gemeinschaft
einzufügen. Darüber hinaus sollten die dazu Fähigen in vier Lernklassen nach
der Methode der Hilfsschule unterrichtet werden. Wer dann keiner
Berufsausbildung zugeführt werden konnte, sollte wenigstens in einer Werkklasse
seine Fingerfertigkeit entwickeln und so zu einer praktischen Betätigung
angeleitet werden. Die Begabteren aber erhielten nach dem Schulunterricht eine
handwerkliche Ausbildung, wofür die verschiedensten Lehrwerkstätten
eingerichtet wurden, und besuchten zugleich die Berufssonderschule, die einen
eigenen Lehrer bekam. So war es möglich, daß nun bald auch die Entlaßschüler
der Hilfsschulen aus dem ganzen Land sich in Stetten als Lehrlinge für einen
besonderen Beruf vorbereiteten. Das Licht von Stetten begann weit ins Land
hinaus zu strahlen.
    Alle Häuser wurden der Reihe
nach erneuert. Aus den bisherigen Krankenhausräumen wurden gemütliche Wohn- und
Schlafzimmer, in denen Gruppen von etwa zehn Pfleglingen wie Familien
beieinander wohnten. Alles sollte seine eigene persönliche Art haben, ohne
jedes »Anstaltsgeschmäckle«.
    Als sich 1953 die Zahl der
Pfleglinge wieder auf 750 erhöht hatte, erhob sich die Frage nach neuen Räumen,
wo die körperlich Gesunden, aber nicht Bildungs- und Beschäftigungsfähigen
untergebracht werden konnten. Sie fühlten sich ja unter den anderen, ihnen
überlegenen Pfleglingen nicht wohl, störten sie bei Tag und Nacht und
versperrten die Plätze für solche, die in die Schule oder in die
Lehrwerkstätten gehen oder im Krankenhaus Pflege für ihre körperlichen
Gebrechen und Krankheiten finden konnten. War es nicht vielleicht möglich, auf
der Hangweide neue Pflegehäuser für mindestens 300 Pfleglinge zu bauen? Da
draußen war noch Platz genug für eine ganze Siedlung mit großen Grünflächen zum
Spielen und Spazierengehen.
    Langsam reifte ein Plan: Acht
Wohnhäuser für Pfleglinge, drei für die Mitarbeiter und ein Gemeinschaftshaus
mit großem Saal, Küche, Heizung und der Wohnung der Hauseltern sollten gebaut
werden. Ein großzügiges Vorhaben,

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