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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Friedhof.

NEUER ANFANG — NEUE HEIMAT
     
     
    Fast fünf Jahre waren
vergangen, seit der letzte Pflegling Schloß Stetten verlassen hatte. Das
deutsche Volk lag zerschmettert, gevierteilt, aus tausend Wunden blutend am
Boden.
    An einem warmen Oktobertag des
Jahres 1945 fuhr auf einem Fahrrad ein Mann in Soldatenuniform, ein langes
Ofenrohr auf der Schulter, mühsam tretend die Anhöhe im Dorf Stetten hinauf.
    »Hallo, Freund Schlaich, was
machst denn du da?« wurde er angerufen.
    Er stieg von seinem Fahrrad und
schüttelte dem Freund, einem Pfarrer aus der Nachbarschaft, die Hand.
    »Wie du siehst, habe ich mir
beim Flaschner ein neues Ofenrohr geholt. Wir fangen nämlich wieder an. Seit 1.
Oktober haben sie die Hangweide (Teil der Anstalt zwischen Stetten und
Rommelshausen) freigegeben. Es ist zwar nicht mehr viel da, in der Hauptsache
Schmutz. Aber wir wollen wieder aufbauen. Ganz von unten natürlich, wie’s nicht
anders sein kann. Wir müssen die Zimmer heizen, daß die Wände trocknen. Die
Kranken kommen bald. Darum das Ofenrohr. Die Stadt Stuttgart hat versprochen,
die Anstalt Zug um Zug zu räumen, wie es ihr eben möglich sei. Sie liegt
verkehrstechnisch zu ungünstig. Das ist ein Glück für uns!«
    Der Freund schüttelte den Kopf:
»Da könnt ihr noch lange warten! In Stuttgart sieht’s bös aus; da ist bald kein
Stein mehr auf dem andern.«
    »Freilich, ich hab’s selber gesehen.
Es wird schwer sein, ungeheuer schwer. Aber unsere Kranken warten, Hunderte
warten. Das ist ein Auftrag an uns. Und wo ein Auftrag ist, da ist auch ein
Weg.«
    »Ich beneide dich nicht.«
    »Wir stehen nicht allein. Alle
sind dafür: der Oberkirchenrat, die Innere Mission, die Landesfürsorge usw.
Alle wollen helfen, weil sie wissen, wie notwendig unsere Arbeit ist. — Aber,
ich muß weiter; die Handwerker warten.«
     
    Es dauerte sieben Jahre, bis
alle Nöte und Schwierigkeiten überwunden waren.
    Im ersten Jahresbericht nach
dem spukhaften fünfjährigen Interim, im Jahresbericht für 1946, schilderte der
Inspektor die Nöte und Mühsale des Neuanfangs:
    »Nur wer den wirtschaftlichen
Tiefstand unseres besiegten Volkes in seiner ganzen Trostlosigkeit kennt, weiß,
was für unendliche Mühsale es kostete, das nötige Material für die Umbauten zu
beschaffen, die Handwerksleute immer wieder zur Weiterführung ihrer Arbeiten zu
bewegen und zugleich das ganze Inventar heranzubringen, das in einem Haushalt
von 90 kranken und gesunden Menschen benötigt wird, besonders wenn nicht das
geringste Tauschobjekt anzubieten war. Die Ziegelsteine haben wir uns selbst
aus unserem durch Fliegerbomben zerstörten Haus und aus den Luftschutzbauten
des Krankenhauses in Stetten geholt; den Sand selbst gegraben oder nach
endlosen Besuchen und Telefongesprächen aus etlichen Sandwerken
zusammengefahren, bis endlich kurz nach Beendigung der Hauptarbeiten der
monatelang zuvor bestellte Eisenbahnwaggon eintraf. In unzähligen Verhandlungen
mit dem Landwirtschaftsamt, mit der amerikanischen und französischen
Militärregierung, mit den Forstdirektionen in Tübingen und Stuttgart, mit
Forstämtern, Sägewerken und Holzhändlern haben wir darum gerungen, das nötige
Holz für die Türen, Fenster und Fußböden und für die Tische, Stühle, Schränke
und Regale zu bekommen; mit allen möglichen Behelfsmaßnahmen versuchten wir,
die so kostbaren Holzvorräte zu strecken: die Fußböden in der Schule und im
großen Schlafsaal dienten zuvor als Speicherböden bzw. als Stalldecke. Um Bettstellen
zu bekommen, kauften wir Stahlfedermatratzen aus dem aufgehobenen Arbeiterlager
einer Fabrik; um die dazu fehlenden Kopf- und Fußteile geliefert zu bekommen,
bemühten wir uns monatelang um die Einkaufsgenehmigung und Lieferungszusage für
Azethylengas, mit dem sie geschweißt werden sollten; als wir das Gas endlich
holen zu können meinten, wurde uns erklärt, daß das betreffende Werk jetzt
nicht mehr arbeite; nun begann dasselbe Rennen um Karbid, das uns in kleinen
Teillieferungen, aber nicht in der geforderten Grobkörnung, endlich zur
Verfügung gestellt werden konnte.
    So könnte jeder kleinste Teil
der Gebäulichkeiten, der Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände auf der
Hangweide eine lange Geschichte von vielen Schreiben, Besuchen, Versprechungen und
Enttäuschungen erzählen, die nötig waren, bis er beschafft werden konnte. Und
vieles würde bezeugen, daß trotz aller Mühe dieser Wiederaufbau mehr erbeten
als erarbeitet werden mußte und vieles

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