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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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stellte einfach die Hauptwahrheit heraus,
die in ihnen verkörpert war. Dann wählte er, ohne sich an das vorgeschriebene
Spruchbuch zu halten, ein Bibelwort aus, das den Hauptgedanken der betreffenden
Geschichte am einleuchtendsten zum Ausdruck brachte. Nach dem gleichen
Grundsatz wurden die Lieder ausgewählt und ihre Melodien eingeübt. Die
gewählten Sprüche wurden durch Vor- und Nachsprechen gelernt, den
vorgerückteren Kindern auch zum Nachschreiben diktiert. Wer von ihnen schon
lesen konnte, durfte die Geschichte in der Bibel nachlesen oder sie aus ihr
abschreiben. Durch Abfragen und Nacherzählenlassen wurde die Sprechfertigkeit
geübt, der Wortvorrat bei jeder neuen Geschichte, bei jedem neuen Spruch oder
Liedervers vermehrt; beim Nacherzählen wurde immer auf möglichst guten Ausdruck
gesehen, so daß sich ein eigentlicher Sprachunterricht in besonderen Stunden
bei den meisten Kindern erübrigte. Mit der Erzählung der Geschichten wurden
Schilderungen aus dem Natur- und Menschenleben verbunden, tun den Kindern die
sie umgebende Welt zu zeigen und verständlich zu machen.
    Die Auffassungsgabe der Kinder
war ganz verschieden. Landenberger urteilte in erster Linie nach der Fähigkeit,
die biblische Geschichte aufzufassen und wiederzugeben. Ein Kind, das
vielleicht eine unbegreifliche Ungeschicklichkeit beim Schreiben an den Tag
legte oder wenig Zahlensinn hatte, aber imstande war, eine Geschichte
aufzufassen und nachzuerzählen, auch eine gewisse Urteilskraft bewies, stufte
er höher ein als eines, das zwar ordentlich zählen und schreiben konnte, aber »kaum
einen einzelnen Umstand aus der biblischen Geschichte zu erfassen vermochte«.
Manche Kinder konnten die biblischen Geschichten ziemlich zusammenhängend, wenn
auch teilweise in sehr mangelhaftem Deutsch, nacherzählen, andere gaben
wenigstens beim Abfragen Antworten, während eine dritte Gruppe von Kindern eine
kaum vorstellbare Unfähigkeit zeigte, auch wenn einzelne nicht ohne Anlagen
waren.
    Gelegentlich erzählte
Landenberger seinen Kindern auch andere faßliche Geschichten. Dringend
notwendig erschien es ihm, eine Sammlung von verschiedenen Gegenständen für den
Anschauungsunterricht anzulegen. Es kam ihm ja darauf an, die Kinder in das
Leben selbst einzuführen, den ganzen Menschen zu erfassen, so daß sie sich
einmal im Leben zurechtfinden konnten. Das war wichtiger für sie, als nur
gewisse Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlangen.
    Schon an Ostern 1852 konnte in
der Anstalt die erste Konfirmation gefeiert werden. Es war für alt und jung ein
großer Freudentag. In Landenbergers Augen war ja die ganze Anstalt nichts
anderes als eine christliche Familie, in die die Kinder aufgenommen und in der
sie wie eigene Kinder behandelt werden sollten. Nur in einem solchen
Familienleben konnte sich das, was sie im biblischen Unterricht gelernt hatten,
bewähren. Es kam darauf an, daß sie in Gehorsam und Liebe ihren Erziehern
zugetan waren; nur so konnten sie lernen, die Furcht und Liebe zum Herrn zur
Richtschnur ihres Lebens zu machen. Dazu gehörte dann auch, daß sie bei der
feierlichen Handlung der Konfirmation ein, wenn auch noch so schlichtes,
Zeugnis ablegten.
    Es waren zwei Knaben und zwei
Mädchen. Die Konfirmation fand im Hause selber statt. Landenberger hielt in
Gegenwart des Ortsgeistlichen und anderer Gäste eine Unterredung mit den
Kindern, bei der deutlich wurde, welch ordentlichen Schatz christlicher
Erkenntnis sie sich zugeeignet hatten. So konnte der Pfarrer die heilige
Handlung getrost vollziehen.
    Auch für die Zukunft der Kinder
war schon gesorgt. Das eine der beiden Mädchen kam als Magd nach Schorndorf;
das andere wurde von seinen Eltern abgeholt und sollte daheim im Haushalt
helfen. Ein Knabe kam als Lehrling zu einem Strumpfwirker nach Calw; der andere
wurde von seiner Mutter mit Freuden in Empfang genommen, da sie ihn zur
Feldarbeit sehr benötigte.
    Dabei wurde es Landenberger
schmerzlich bewußt, wie schwierig es in vielen Fällen künftig sein würde, die
Kinder draußen in der Welt unterzubringen, auch wenn sie in der Anstalt so weit
gefördert waren, daß sie sich ihren Lebensunterhalt wenigstens notdürftig
verdienen konnten. Durfte man wirklich eine innere Anteilnahme der Eltern oder
Lehrherren an ihrem weiteren Ergehen voraussetzen? Bestand nicht die Gefahr,
daß sie alles wieder verloren, was sie hier, unter so viel Aufopferung, Liebe
und Geduld von seiten ihrer Erzieher, gelernt hatten? Sollte es nicht

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