Das Schloss Im Moor
nach erfolgter Entlarvung des »Baron Hodenberg«, mußte eine
Werbung um Olga inopportun erscheinen, dem zweifellos von bitterster Seelenqual heimgesuchten Fräulein Tristner Ruhe und
zarte Rücksichtnahme gegönnt werden. Wie die übrigen Familienmitglieder im Hause Tristner war wohl auch Olga
von Höpfner-»Hodenberg« getäuscht worden, der Verbrecher verstand es ja trefflich, sich in die Herzen
ehrlicher, einfacher und gutmütiger Menschen zu schmeicheln. Und Olga dürfte bei dem Mangel an Menschenkenntnis das
Opfer ihrer Leichtgläubigkeit und übergroßen Vertrauens geworden sein. In der Abgeschlossenheit zu Ried
konnte ein junges Mädchen auch keine besondere Menschenkenntnis erwerben, der Reinfall mit einer heimlichen Verlobung
war ebenso begreiflich wie entschuldbar. Doktor Thein kam mit dem festen Vorsatz, nun über Olga als treuer Freund zu
wachen, einer neuen Gefahr vorzubeugen und zu gegebener Zeit zu sagen, daß ein gewisser Amtsrichter Doktor Thein sehr
glücklich sein würde, wenn Fräulein Tristner ihm die Hand zum Ehebunde reichen möchte. Daß dieser
Zeitpunkt einstweilen noch nicht gekommen, erkannte Doktor Thein sehr bald, denn Fräulein Olga bekundete geradezu Scheu
vor dem Richter, vermied eine Begegnung der Blicke und verhielt sich verschlossen und wortkarg. Über die geglückte
Entlarvung wollte Thein nicht sprechen, das Zartgefühl hielt ihn davon ab. Bis auf Frau Helene, die ihrer Freude
über den Besuch des Amtsrichters wie immer liebenswürdigen Ausdruck gab, schienen die Familienmitglieder sich
auffallend reserviert Thein gegenüber verhalten zu wollen; auch Theo war einsilbig, zerstreut, nicht wie früher
offen und herzlich. Sollte die Anwesenheit des Richters auf die Tristnersche Jugend bedrückend wirken? Und wenn ja,
weshalb?
Frau Helene fragte im Laufe der schleppend geführten Unterhaltung direkt nach dem Ergebnis der Untersuchung gegen den
Verschwender Hodenberg.
Doktor Theins Blick streifte das erbleichende Fräulein Olga, und ihre Augen flehten um Barmherzigkeit. Die stumme
Bitte veranlaßte den Richter, das zungenbindende Amtsgeheimnis vorzuschützen.
Zähe hielt aber Mama Tristner am Thema fest und gab der Verwunderung Ausdruck, daß diesmal das Gericht so lange
zur Klarstellung des Sachverhaltes brauche. Wenn Baron Hodenberg unschuldig sei, müsse seine lange Haft geradezu als
Grausamkeit bezeichnet werden.
Doktor Thein warf ob dieses indirekten Vorwurfes einer Verschleppung unwillig das Haupt auf, zu einer Entgegnung bereit;
im selben Augenblick hob Olga die Hände bittend, ihr Blick galt dem Richter so innig flehend, daß Doktor Thein auf
jede Verteidigung verzichtete.
Durch die offenen Fenster drang das Trällern eines Liedes aus glockenheller Frauenstimme.
Thein horchte verwundert auf, und nun wurde Theo unruhig, verlegen zupfte er an seinem Schnurrbärtchen.
»Sie haben wohl Besuch im Hause?« fragte Doktor Thein.
Mama Tristner erzählte lächelnd, daß Schloß Ried die Kusine des Verwalters beherberge, die Herr
Amtsrichter kennenlernen müsse.
»Müssen, weshalb denn ein Zwang?« meinte Doktor Thein.
»Jawohl, Herr Doktor, es wäre mir nämlich angenehm, aus Ihrem Munde authentisch zu vernehmen, ob
Fräulein Senta wirklich ein von Natur so stiefmütterlich ausgestattetes Geschöpf ist, wie der Verwalter mir
seine Kusine geschildert hat. Wesen und Stimme wie das bescheidene Verhalten sind mir außerordentlich sympathisch,
sehen kann ich ja leider nichts mehr, mich also nicht überzeugen, ob das arme Geschöpf wirklich verunstaltet
ist.«
»Wollen wir den Kaffee nicht im Garten einnehmen?« warf Theo, dem das Gespräch Unbehagen verursachte,
ein.
Mama willigte ein und bat den Richter um Geleit.
Rasch entfernte sich Theo, indes Olga die Anordnungen zum Kaffee in der Gartenlaube traf.
Frau Helene schritt am Arm Theins schlürfenden Trittes über den Schloßhof dem Park zu und erzählte
des ausführlichen, daß die arme Senta ein geradezu häßliches Mädchen sei, verunstaltet und von der
Natur verurteilt, hienieden gemieden zu bleiben; dazu gänzlich mittellos, zur Zeit ohne Stellung, weshalb man Erbarmen
haben und dem armen Mädchen irgendeine Verwendung im Hause geben müsse.
Die Antwort blieb Thein im Halse stecken, als er eine leuchtend hübsche, elegante Dame in lebhafter Unterhaltung mit
Theo erblickte. Wenn diese blendende Erscheinung die erwähnte häßliche Person sein soll, so ist Frau Tristner
zweifellos in
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