Das Schloss in Frankreich
den Wein gerichtet, den sie in ihrem Glas schwenkte, und war offenkundig völlig von der zart schimmernden Farbe in Anspruch genommen.
»Ich genieße lediglich das hervorragende Essen, Großmutter.« Christophe nahm die Herausforderung nicht an. »Im Augenblick bin ich weder mit der Viehzucht noch mit Frauen beschäftigt.«
»Wirklich?« fragte die Gräfin lebhaft. »Vielleicht beschäftigen dich beide Themen auf einmal.«
Die breiten Schultern bewegten sich in typischer Manier. »Beide erfordern viel Aufmerksamkeit und eine starke Hand, nicht wahr?«
Shirley verschluckte sich an einem kleinen Bissen Orangenente.
»Haben Sie viele gebrochene Herzen in Amerika zurückgelassen, Shirley?« fragte die Gräfin, ehe Shirley ihre mörderischen Gedanken in Worte kleiden konnte.
»Dutzende«, erwiderte sie und bedachte Christophe mit einem tödlichen Blick. »Ich habe festgestellt, dass einige Männer nicht einmal über den Verstand des Viehs verfügen, umso öfter aber die Waffen und die Intelligenz einer Krake einsetzen.«
»Vielleicht sind Sie nur nicht den richtigen Männern begegnet.« Christophes Stimme klang kühl.
Diesmal hob Shirley die Schultern. »Alle Männer sind gleich«, sagte sie abweisend und hoffte, ihn mit dieser Verallgemeinerung zu verärgern. »Entweder sie begehren einen warmen Körper in irgendeiner dunklen Ecke oder aber ein Stück Dresdner Porzellan auf einem Sims.«
»Und wie möchte Ihrer Ansicht nach eine Frau behandelt werden?« fragte er, während die Gräfin sich zurücklehnte und die Früchte ihrer Herausforderung genoss.
»Als menschliches Wesen mit Intelligenz, Gefühlen, Rechten und Bedürfnissen.« Ausdrucksvoll bewegte sie die Hände. »Nicht wie eine Annehmlichkeit, deren sich ein Mann je nach Lust und Laune bedient, und nicht wie ein Kind, das gestreichelt und verhätschelt werden muss.«
»Sie scheinen von Männern eine ziemlich geringe Meinung zu haben, chérie«, befand Christophe. Sie beide merkten nicht, dass sie sich während dieses Gesprächs ausgiebiger unterhielten als während der ganzen letzten Tage.
»Nur von überkommenen Ideen und Vorurteilen«, widersprach sie. »Mein Vater hat meine Mutter immer als ebenbürtige Partnerin behandelt. Sie haben alles miteinander geteilt.«
»Suchen Sie das Ebenbild Ihres Vaters in allen Männern, denen Sie begegnen, Shirley?« fragte er unvermittelt. Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen und Verwirrung.
»Nicht dass ich wüsste«, stammelte sie und versuchte, ehrlich vor sich selbst zu sein. »Vielleicht suche ich nach seiner Stärke und Güte, doch nicht nach seiner Kopie. Vermutlich sehne ich mich nach einem Mann, der mich ebenso ausschließlich lieben könnte, wie mein Vater meine Mutter geliebt hat. Das müsste ein Mann sein, der mich mit all meinen Fehlern und Unzulänglichkeiten um meiner selbst willen liebt und in mir nicht nur ein Wunschbild sieht.«
»Und was werden Sie tun, wenn Sie solch einen Mann gefunden haben?« Christophe schaute sie unergründlich an.
»Ich werde zufrieden sein.« Angestrengt widmete sie sich wieder dem Essen auf ihrem Teller.
Am nächsten Tag setzte Shirley ihre Malerei fort. Sie hatte nur wenig geschlafen in Gedanken an ihr Eingeständnis auf Christophes unerwartete Frage. Die Worte waren ihr wie von selbst über die Lippen gekommen, als Folge eines ihr bis dahin unbekannten inneren Bedürfnisses. Jetzt wärmte die Sonne ihren Rücken, und mit Pinsel, Palette und Hingabe an ihre Kunst bemühte sie sich, ihr Unbehagen zu vergessen.
Es fiel ihr jedoch schwer, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, da der Gedanke an Christophe immer wieder die scharfen Konturen des Schlosses verwischte. Sie rieb sich die Stirn und ließ schließlich unlustig den Pinsel fallen. Dann packte sie ihr Handwerkszeug zusammen und verwünschte innerlich den Mann, der sich so in ihre Arbeit und in ihr Leben drängte.
Das Geräusch eines Autos lenkte sie von sich selbst ab. Sie drehte sich um, beschattete die Augen gegen die Sonne und bemerkte einen Wagen, der die lange Auffahrt hinauffuhr. Er stoppte einige Meter von ihr entfernt, und sie stieß einen Freudenlaut aus, als ein großer blonder Mann ausstieg und auf sie zukam.
»Tony!« Sie lief ihm über den Rasen entgegen.
Er umfasste ihre Taille und küsste sie kurz und energisch.
»Was führt dich denn hierher?«
»Darauf könnte ich antworten, dass ich mich ganz in deiner Nachbarschaft befand.« Er lächelte sie an. »Doch ich fürchte, das glaubst du mir
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