Das Schloss in Frankreich
auch, Christophe?«
Shirley fühlte sein Schulterzucken mehr, als dass sie es sah.
»Es sieht ganz so aus, Großmutter. Ehe unsere Catherine zwanzig ist, wird ein Kleines an ihrer Schürze zerren, unter der sie schon wieder ein Baby erwartet.«
»Und wenn schon«, seufzte die Gräfin mit verdächtiger Wehmut. »Es scheint fast, als ob keines meiner Großkinder mir Urenkel schenken würde, die ich verwöhnen kann.« Sie lächelte Shirley arglos zu. »Es ist schwierig, sich in Geduld zu fassen, wenn man alt wird.«
»Aber es wird einfacher, sich klug zu verhalten«, erwiderte Christophe trocken. Shirley sah ihn unwillkürlich an. Er hob kurz die Augenbrauen, und sie hielt seinem Blick stand, fest entschlossen, seinem Zauber nicht zu verfallen.
»Du meinst, weise zu sein, Christophe«, berichtigte die Gräfin unbeirrt und selbstgefällig. »Dies kommt der Wahrheit näher. Seht doch«, unterbrach sie sich, ehe Christophe etwas erwidern konnte, »da sind sie.«
Weiche, frische Blumenblätter schwebten und tanzten zur Erde, als kleine Kinder sie aus geflochtenen Körben verstreuten, unschuldige wilde Blüten von den Wiesen und aus den Wäldern. Die Kinder umringten lachend das Brautpaar, während sie die Blüten in die Luft warfen. Umgeben von ihrer Familie näherte sich die Braut. Sie war nach althergebrachter Sitte gekleidet. Shirley hatte noch nie eine strahlendere Braut gesehen.
Der weite, plissierte Rock schwebte von der Taille abwärts eine Handbreit über dem blütenbedeckten Boden. Der Halsausschnitt war hoch angesetzt und von Spitzen umgeben, das zart bestickte Mieder schmiegte sich eng an den Körper. Anstelle eines Schleiers trug sie eine runde weiße Kappe mit einem Kopfputz aus steifen Spitzen, der der winzigen dunklen Gestalt eine exotische und alterslose Schönheit verlieh.
Der Bräutigam trat an ihre Seite, und Shirley bemerkte mit fast mütterlicher Erleichterung, dass Jean-Paul freundlich und beinahe ebenso unschuldig aussah wie Catherine. Auch er
war nach althergebrachter Weise gekleidet: Weiße Kniehosen staken in weichen Stiefeln, und über dem bestickten weißen Hemd trug er ein tiefblaues doppelreihiges Jackett. Der mit Samtbändern geschmückte schmalkrempige Hut hob seine Jugend hervor. Shirley vermutete, dass er kaum älter war als die Braut.
Junge Liebe hüllte sie ein, rein und süß wie der Morgenhimmel. Sehnsüchtig hielt Shirley den Atem an. Ihre Kehle war trocken. Sie schluckte tief und dachte: Wenn Christophe mich doch nur ein einziges Mal so ansähe. Davon würde ich bis zum Ende meines Lebens zehren.
Sie zuckte zusammen, als eine Hand ihren Arm berührte, blickte auf und sah seine Augen auf sich gerichtet, etwas ironisch, doch nach wie vor kühl. Sie hob ihr Kinn und gestattete ihm, sie in die Kapelle zu geleiten.
Der Schlossgarten war für eine Hochzeit wie geschaffen, hell, frisch und lebendig von Düften und Farben. Auf der Terrasse waren weiß gedeckte Tische aneinander gereiht, die mit Speisen und Getränken überladen waren. Das Schloss wartete mit dem Besten für die Dorfhochzeit auf: Silber und Kristall leuchteten kostbar im gleißenden Sonnenlicht. Shirley bemerkte, dass die Dorfbewohner ein Recht darauf geltend machten. Sie gehörten zum Schloss, und das Schloss gehörte ihnen. Musik übertönte das Stimmengewirr und Gelächter: fröhlich zirpende Geigen und näselnde Dudelsäcke.
Shirley beobachtete von der Terrasse aus, wie sich Braut und Bräutigam zu ihrem ersten Tanz als Frau und Mann verneigten. Es war ein charmanter, flotter Volkstanz. Catherine flirtete mit ihrem Ehemann, indem sie den Kopf hochwarf und ihn herausfordernd anblickte, zum größten Vergnügen des Publikums. Es schloss sich dem tanzenden Paar an, die Stimmung wuchs, und plötzlich zog Yves sie entschlossen in die Menge.
»Aber ich weiß doch gar nicht, wie man das macht«, protestierte sie und lachte über seine Beharrlichkeit.
»Ich werde es Sie lehren.« Er nahm ihre beiden Hände. »Nicht allein Christophe ist ein guter Lehrmeister.« Er neigte sich ihr zu und versuchte, ihr Stirnrunzeln zu deuten. »Jedenfalls bin ich davon überzeugt.« Sie dachte über den Doppelsinn dieser Worte nach, doch er lächelte nur und streute ihre Hand mit den Lippen. »Jetzt machen wir den ersten Schritt nach rechts.«
Zunächst war Shirley gänzlich von der Lektion beansprucht, dann aber überließ sie sich dem Vergnügen der einfachen Melodien und Tanzschritte, und die Spannung der letzten Tage verflog.
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