Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Bahnhofshalle hetzte, als würde nie wieder ein Zug abfahren, und sie liebte die alten Männer mit ihren Schläfenlocken und schwarzen Hüten, die genauso wie einige der Juden daheim in Wichita aussahen und sich über irgendetwas königlich amüsierten. Sie liebte sogar den Mann und die junge Frau, die einander geküsst hatten und jetzt den Ausgang zur Lexington Avenue nahmen, die Frau eng an den Mann geschmiegt, seine Hand ungeniert von ihrer Taille zur Hüfte wandernd.
Cora senkte den Kopf und atmete den Duft der Rosen ein. Heute würde sie an niemandem Anstoß nehmen, der einen geliebten Menschen wiedersah.
Sie würde sie lieben. Das wusste sie jetzt schon. Sie würde Mary O’Dell lieben, egal, als was für ein Mensch sie sich entpuppte. Auch wenn sie gar nicht ihre Mutter war, sondern tatsächlich nur eine besorgte Freundin und die ähnliche Handschrift ein seltsamer Zufall war, würde Cora sie lieben, weil sie eine so gute Freundin oder einfach nur ein so guter Mensch war, dass sie mit dem Zug von Massachusetts hierherkam, nur um einer Fremden ein wenig Trost zu schenken. Sie würde sie allein dafür lieben, dass sie ihre Mutter gekannt hatte, die jetzt vielleicht schon tot war, die sie zu spät aufgespürt hatte. Wer immer aus diesem Zug stieg, würde ihr mehr erzählen können, als sie je gewusst hatte. Dafür würde sie dankbar sein.
Sie suchte in der Halle nach einer Frau mit dunklem Haar, lockig wie ihr eigenes. Erst jetzt fiel ihr eine ältere Frau mit grauem Hut auf, die auf den Informationsstand zuging. Cora sollte nie den Schock vergessen, ihren Mund, exakt ihren Mund, im Gesicht eines anderen Menschen zu sehen. Die Frau war kräftiger gebaut und älter, aber sie hatte die gleichen vollen Lippen und den gleichen leichten Vorbiss, und ihr eckiges Kinn war noch fest. Sie reckte sich in ihren vernünftigen flachen grauen Schuhen auf die Zehen, um die Menge zu begutachten. Cora bewegte sich auf sie zu, ohne ihre Füße zu spüren.
»Mary?« Ihre Stimme klang hoch und irgendwie seltsam. »Mary O’Dell?«
Die Frau sah Cora an, sagte aber nichts. Ihr Haar war rotblond, und obwohl das meiste davon unter dem Hut hochgesteckt war, erkannte Cora, dass es in seiner Beschaffenheit ganz anders als ihr Haar war und ganz anders als das Haar der Frau in ihrer Erinnerung, der Frau mit dem Tuch. Tatsächlich war nichts an der Frau, die vor ihr stand, so, wie sie sich erinnerte oder es sich vorgestellt hatte. Diese Frau war sehr gut gekleidet, mit einem grauen Leinenkleid, das an der Hüfte gerafft und vorne mit Blumen bestickt war. Eine kurze Perlenkette, klein und elegant, lag um ihren faltigen Hals.
»Cora?« Sie waren gleich groß. Ihre Augen waren grau und größer als Coras.
Cora nickte. Ringsum waren Menschen. Sie standen herum, warteten, gingen auf und ab, sahen auf die Uhr. Aber trotzdem war es, als wären sie ganz allein in dieser riesigen Halle, als sie einander anstarrten.
»Sie sind meine Mutter«, sagte Cora, ohne Vorwurf, aber auch ohne fragenden Unterton. Sie brauchte nur das Kinn und den Mund der anderen anzuschauen oder auch nur ihre Nase. »Sie … Sie sind keine Freundin. Sie sind meine Mutter.«
Die Frau trat unsicher einen Schritt zurück.
Cora schüttelte den Kopf. Nein. Sie war nicht zornig. Und dann war es, als würde auf einmal das Kind in ihr durchbrechen, zu aufgeregt und überwältigt, um sich noch länger zu beherrschen, und zu ungeduldig, um zu befürchten, missverstanden zu werden. Cora breitete die Arme aus und machte einen Schritt nach vorn, und dann atmete sie den Geruch der Frau und der Rosen ein, die sie immer noch in der Hand hielt. Der Körper an ihrem fühlte sich starr und still an. Aber sie wurde nicht weggestoßen. Sie wurde ebenfalls umarmt und festgehalten, ganz wie in ihren kühnsten Träumen. Aber das hier war real. Ohne die Frau loszulassen, starrte sie an die blaue Decke mit den glitzernden Tierkreiszeichen, die sie nur verschwommen wahrnahm.
Sie lösten sich voneinander. Cora fiel auf, dass sie ihren Hut verloren hatte, und bückte sich, um ihn aufzuheben. Sie lachten beide, brachen abrupt ab und starrten einander an.
»Na ja.« Mary O’Dell legte eine Hand an Coras Wange. »Hat wohl keinen Sinn, es zu leugnen, oder? Du bist praktisch mein Ebenbild.« Sie hatte einen irischen Akzent. Sie klang nett, fand Cora, freundlich, diese Stimme, die sie hätte kennen sollen.
»Die sind für dich.« Cora hielt ihr die Rosen hin, und obwohl ihre Stimme immer noch hoch
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