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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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mit Augen im Kopf so deutlich zu sehen wie der helle Tag, so viel stand fest. Dann war ihr, als blickte sie aus den Baumwipfeln auf ihre eigene Tollheit herunter, sähe sich selbst, zerzaust und verzagt, wie sie den Kopf hin und her wendete, kleine Zweige im nassen Haar – und hatte das furchtbare Gefühl, sich aufzulösen, den Halt zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Sie dachte an Jack im Blockhaus irgendwo weit hinter ihr, ein beständiges Licht inmitten der Wildnis. Sie könnte umkehren und sich von ihren Spuren nach Hause führen lassen. Allzu weit war sie nicht gekommen. Doch ihr Zorn war noch nicht verraucht.
    Als sie wieder loslief, suchte sie nicht länger nach Fußabdrücken oder den Umrissen von Bergen am schwarzen Himmel. Alles war fremd und unbekannt, sie konnte nur ein paar Schritte weit sehen. Mitunter blitzten im Lichtschein eine Handvoll gefrorener Moosbeeren an kahlen Zweigen auf, dürre Fichten oder die gesprenkelten Stämme von Weißbirken, um dann wieder vom Dunkel verschluckt zu werden. Plötzlich brach neben ihr etwas durch die Bäume, und sie blieb stehen; ihr Herz raste, ihr Atem ging stoßweise.
    «Faina? Bist du das?», flüsterte sie vernehmlich. Aber es war nicht das Kind, das wusste sie. Es war etwas sehr viel Größeres. Als Antwort kam nur das Knacken der Zweige. Angestrengt – und wohl wissend, dass es vergeblich war – spähte sie noch tiefer in das Dunkel hinein, durch den Dunst, der von ihrem Körper aufstieg. Nach einer Weile schien es ihr, als ob das Geräusch im Wald sich von ihr entfernte. Sie wollte nach Hause; wenn sie doch nur den Weg wüsste.
    Zum Laufen hatte sie keine Kraft mehr, war sich anfangs nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch einen Schritt tun konnte. Erhitzt und durstig nahm sie eine Handvoll Schnee vom Boden auf und sog ihn von ihrem Handschuh ein, ließ ihn im Mund zergehen. Wie gern hätte sie die Mütze abgelegt und den Mantel noch dazu, doch sie wusste, dass ihr dann der Erfrierungstod drohte. Sie kühlte sich die Stirn mit einem Klumpen Schnee und ging weiter, in der Hoffnung, wieder auf eine Spur zu stoßen, ganz gleich welche, und sich von ihr wohin auch immer führen zu lassen, vielleicht zu den Bergen, vielleicht zum Fluss, vielleicht nach Hause. Vor Erschöpfung begann sie zu schlurfen und verfing sich mit den Stiefeln in Buschwerk und Wurzeln.
    Der Sturz war so unvermittelt und heftig, als hätte ihr jemand von hinten einen Stoß versetzt. Sie schlug der Länge nach hin, konnte nicht einmal mehr schützend die Arme vorstrecken; bei dem Aufprall blieb ihr die Luft weg. Im selben Moment fiel die Lampe scheppernd und zischend in den Schnee, und als Mabel mühsam den Kopf hob, fühlte sie sich kurz wie mit Blindheit geschlagen. Sie hatte die Lampe fallen lassen. Mabel zwinkerte, erst mehrmals rasch hintereinander, dann langsamer. Es war so rabenschwarz, dass nur der kühle Lufthauch ihr sagte, ob sie die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Auf allen vieren scharrte sie am Boden, bis sie die Stelle fand, an der die Lampe halb in dem lockeren Schnee versunken war. Das Glas fühlte sich noch heiß an, doch die Flamme war erloschen. Als Mabel sich aufrappelte und zum Himmel blickte, war es dort ebenso schwarz wie zu ihren Füßen, und sie geriet ins Wanken, wäre um ein Haar erneut gestürzt.
    Himmel hilf, was habe ich getan? Stolpere über meine eigenen zwei linken Füße. Lasse mein einziges Licht fallen. Keine Zündhölzer. Keinen trockenen Faden am Leib. Kein Unterschlupf. Keine Ahnung, wo ich bin – womöglich von überhaupt nichts eine Ahnung.
    Ob sie wohl ihre Spuren wiederfinden konnte? Sie hockte sich hin, tastete im Schnee umher und glaubte, etwas wie Fußabdrücke ausgemacht zu haben. Tief gebückt spürte sie ihnen nach, bis sie mit den Haaren irgendwo hängen blieb. Als sie sich aufrichten wollte, schlug sie sich den Kopf an, streckte die Hände aus und traf auf etwas Hartes. Sie zog die Handschuhe aus und betastete es, wie ein Blinder es mit einem Gesicht tun mochte. Es war ein Baumstamm. Sie war nicht etwa auf ihren Trampelpfad gestoßen, sondern unter die Äste einer großen Fichte getappt. Zu ihrer Überraschung fand sie am Boden unter ihren Fingern keinen Schnee, sondern ein Bett aus trockenen Nadeln. Mehr konnte man unter den Umständen vielleicht nicht verlangen, doch selbst so – wie sollte sie ohne ein Feuer und in nassen Kleidern bis zum Tagesanbruch überleben? Sie setzte sich hin und lehnte den Rücken an den

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