Das schoenste Geschenk
diesem schrecklichen Nest zu vergraben?«
»Es ist mein Zuhause.«
»Nun, jeder soll nach seiner eigenen Fasson selig werden. Was hast du mit dem Rest des Hauses gemacht?« Bevor Sharon antworten konnte, war Anne in den Laden hinübergegangen. »Oh nein! Hast du etwa einen Antiquitätenladen aufgemacht? Er wirkt ja sehr geschmackvoll. Das war eine gute Idee, Sharon.«
Mit schnellem Blick hatte sie ein paar wertvolle Stücke entdeckt. Anne öffnete den Gürtel ihrer Pelzjacke, streifte sie über die Schultern und warf sie nachlässig auf einen Stuhl. »Wie lange hast du diesen Laden schon?«
»Erst ein paar Wochen.« Stocksteif stand Sharon da. Es war jedes Mal dasselbe. Sie fühlte sich zu dieser seltsamen schönen Frau hingezogen, die ihre Mutter war. Dabei wusste sie ganz genau, dass Anne ihre Liebe nicht verdient hatte.
»Und?«, fragte Anne.
»Und was?«
Anmutig ließ sie sich auf einem Stuhl nieder und schaute ihre Tochter freundlich an. »Ich mache mir natürlich Gedanken um dich, Liebling. Darf ich mich denn nicht erkundigen, wie dein Laden läuft?«
Sharon schämte sich plötzlich ihrer schlechten Manieren und gab ihre starre Haltung auf. »Obwohl ich gerade erst eröffnet habe, geht das Geschäft ganz gut«, erklärte sie. »Mit dem Job in der Schule war ich nicht sehr glücklich. Ich scheine mich nicht zur Lehrerin zu eignen. Aber dieser Laden macht mir Spaß.«
»Darling, das ist ja wunderbar.«
Anne schlug die schlanken Beine übereinander. Vielleicht ist die Kleine doch noch zu etwas nütze, dachte sie. So ein Laden kostet nicht nur, er bringt auch was ein. »Ich bin richtig erleichtert, dass du dein Leben so gut meisterst«, bemerkte sie. »Besonders, da meines im Moment ziemlich unerfreulich ist.«
Es entging Anne nicht, dass Sharon sie auf diese Bemerkung hin skeptisch anschaute. Sofort setzte sie ihr traurigstes Lächeln auf. Sie kannte ihre Tochter und wusste, was für einen Eindruck es auf sie machte. »Ich habe mich von Leslie scheiden lassen«, bekannte sie.
»Oh?« Sharon hob auf dieses Geständnis hin nur eine Braue.
Die kühle Reaktion ihrer Tochter brachte Anne zunächst ein wenig aus dem Konzept. Doch dann fuhr sie unbeirrt fort: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich in ihm getäuscht habe. Nichts ist schrecklicher, als in der Liebe zu scheitern.«
Darin hast du ja Übung, dachte Sharon.
»Die letzten Monate waren nicht einfach für mich«, seufzte Anne.
»Für uns beide nicht«, warf Sharon ein. »Großmutter ist vor sechs Monaten gestorben. Du hast dir nicht einmal die Mühe gemacht, zu ihrem Begräbnis zu kommen.«
Anne hatte diese Bemerkung vorausgesehen. Seufzend blickte sie auf ihre gepflegten Hände hinab. »Wenn du nur wüsstest, wie sehr mich das belastet hat, Sharon. Ich drehte zu diesem Zeitpunkt gerade einen Film und war leider unabkömmlich.«
»Du hast nicht einmal Zeit gehabt für eine Postkarte oder einen Anruf?«, fragte Sharon. »Wenigstens meinen Brief hättest du beantworten können.« Die Bitterkeit in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Das war Annes Stichwort. Sofort füllten sich ihre bezaubernden Augen mit Tränen. »Sei doch nicht so grausam, Liebling. Ich konnte einfach nicht auf einem Stück Papier meine Gefühle ausdrücken.« Sie zog ein kleines Seidentaschentuch aus ihrer Brusttasche. »Obwohl sie schon sehr alt war, hatte ich immer irgendwie das Gefühl, sie würde nie von uns gehen.«
Vorsichtig, um ihre Wimperntusche nicht zu verschmieren, tupfte Anne sich die Augen ab. »Als ich deinen Brief bekam mit der Nachricht, dass sie … es hat mich so sehr getroffen. Gerade du musst mir das doch nachfühlen können. Sie hat mich schließlich auch großgezogen.« Sie schluchzte wirkungsvoll. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass sie nicht mehr bei uns ist.«
Weil Annes Worte ihren eigenen Kummer wieder aufleben ließen, kniete sich Sharon spontan vor ihrer Mutter nieder. Vielleicht konnten sie wenigstens gemeinsam um ihre Großmutter trauern. »Ich weiß«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Ich vermisse sie noch immer schrecklich.«
Die rührende Szene kam Anne wie gerufen. »Sharon, bitte verzeihe mir«, sagte sie mit zitternder Stimme und griff nach Sharons Händen. »Ich weiß, es war Unrecht, nicht zum Begräbnis zu kommen. Aber ich hatte einfach nicht die Kraft dazu, verstehst du? Auch jetzt, wo ich doch eigentlich darüber hinweg sein müsste …« Sie hielt inne, um Sharons Hand an ihre feuchte Wange zu
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