Das schoenste Geschenk
Papieren herumwühlst.«
Annes blaue Augen bekamen einen bösen, harten Ausdruck. »Du bist also gar nicht der kleine Dummkopf, für den ich dich immer hielt?«
»Du hast mich nie gekannt«, sagte Sharon ruhig. »Dazu hattest du zu wenig Interesse an mir. Mir war das egal, denn ich hatte ja Großmutter. Ich brauche dich nicht.« Obwohl es sie befreite, diese Worte auszusprechen, wurde ihr Zorn dadurch keineswegs gemildert.
»Du hast Großmutter nie geliebt. Sie wusste es, aber sie hat dich trotzdem lieb gehabt. Aber ich liebe dich nicht.« Ihr Atem ging unregelmäßig, und sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Ich kann dich nicht einmal hassen. Ich will dich einfach nur loswerden.«
Sharon wandte sich um, öffnete ihren Schreibtisch und holte ihr Scheckbuch heraus.
Hastig schrieb sie einen Scheck über die Hälfte der Summe aus, die sie sich zusammengespart hatte. »Hier.« Sie hielt Anne den Scheck hin. »Nimm das Geld. Betrachte es als ein Geschenk von Großmutter. Von mir wirst du nie einen Cent bekommen.«
Anne riss ihr den Scheck aus der Hand, warf einen flüchtigen Blick darauf und lächelte sie dann höhnisch an. »Wenn du glaubst, dass ich mich damit begnüge, hast du dich getäuscht.« Sorgfältig faltete sie den Scheck zusammen und steckte ihn in ihre Handtasche. Fürs Erste war Anne zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte. Aber sie würde wiederkommen.
»Ich werde deinen Rat befolgen und mir einen Anwalt nehmen«, sagte Anne, obwohl sie keineswegs vorhatte, ihr bisschen Geld an einen Rechtsanwalt zu verschwenden. »Und dann werde ich das Testament anfechten. Wir werden schon sehen, wie viel du mir auszahlen musst, Sharon.«
»Mach, was du willst«, erwiderte Sharon müde. »Aber betritt nicht noch einmal dieses Haus.«
Anne lachte hässlich und warf die goldblonden Locken zurück. »Keine Angst, ich bleibe keine Minute länger als notwendig in diesem albernen Haus. Es ist mir immer ein Rätsel gewesen, wie ich eine Tochter wie dich in die Welt setzen konnte.«
Sharon presste die Hände gegen die schmerzenden Schläfen. »Mir auch«, sagte sie leise.
»Du wirst von meinem Anwalt hören«, sagte Anne, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand.
Sharon blieb neben ihrem Schreibtisch stehen, bis sie die Ladentür zufallen hörte.
Danach sackte sie auf ihrem Stuhl zusammen und brach in bitterliche Tränen aus.
11. K APITEL
Victor saß auf dem einzigen brauchbaren Stuhl, der in seinem Wohnzimmer stand, und schaute ungeduldig auf die Uhr. Eigentlich wollte er schon seit zehn Minuten bei Sharon sein. Und da wäre er jetzt auch, wenn nicht gerade, als er die Hautür hinter sich zuziehen wollte, das Telefon geklingelt hätte. Jetzt hörte er sich resigniert die Probleme an, die der Leiter seiner Firmenzentrale in Washington ihm zu berichten hatte.
»Es tut mir leid, Sie mit all diesen Dingen zu belästigen«, sagte der Manager gerade. »Aber da diese beiden Bauprojekte für uns von enormer Bedeutung sind, hielt ich es für meine Pflicht …«
»Ja, ich verstehe«, unterbrach Victor den Mann, bevor dieser erneut zu einer ausführlichen Schilderung der Sachlage ausholen konnte. »Setzen Sie für das Wölfe-Projekt zusätzlich eine Nachtschicht ein, bis wir unseren Zeitverlust wieder aufgeholt haben.«
»Eine Nachtschicht? Aber …«
»Wenn wir unsere Termine nicht einhalten, wird uns das wesentlich teurer kommen als die durch die Nachtarbeit erhöhten Lohnzahlungen«, erklärte Victor geduldig.
»Jawohl, Sir.«
Victor nahm einen Bleistift und machte sich eine Notiz. »Und berufen Sie für nächste Woche eine Direktoriumssitzung ein. Ich werde daran teilnehmen. In der Zwischenzeit schicken Sie einen geeigneten Mann hier heraus, um den Standort für eine neue Zweigstelle auszukundschaften.«
»Eine neue Zweigstelle? Dort oben? Aber Mr. Banning …«
Der entgeisterte Ton seines Geschäftsführers amüsierte Victor. »Er soll sich auf das Gebiet um Hagerstown konzentrieren und mir dann einen Bericht vorlegen. Ich möchte in zwei Wochen eine Liste aller geeigneten Standorte.« Wieder schaute er auf die Uhr. »Gibt es sonst noch etwas?«
»Nein, Sir.«
»Gut. Ich bin dann nächste Woche in Washington.« Damit legte er den Hörer auf, ohne die Antwort seines Geschäftsführers abzuwarten.
Victor war sicher, dass seine letzte Anordnung einigen Wirbel unter den Geschäftsführern verursachen würde. Doch das störte ihn nicht. Seine Firma vergrößerte sich ständig. Warum sollte
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