Das schoenste Geschenk
ziehen.
»Ich kann dich verstehen. Und Großmutter hätte es auch verstanden«, sagte Sharon tröstend.
»Sie ist immer so gut zu mir gewesen. Wenn ich sie doch nur noch einmal sehen könnte.«
»Du musst nicht darüber nachgrübeln. Mich haben die gleichen Gedanken gequält. Denk lieber an die positiven Dinge. Großmutter war glücklich hier.«
»Ja, sie liebte dieses Haus«, murmelte Anne, während sie sich wehmütig in dem ehemaligen Sommerraum umsah. »Ich kann mir vorstellen, dass sie von der Idee mit dem Antiquitätenladen entzückt gewesen wäre.«
»Glaubst du wirklich?« Sharon sah zu ihrer Mutter auf. »Ich bin eigentlich auch sicher, dass ihr der Laden gefallen hätte. Nur manchmal kommen mir Zweifel.«
»Sie würde ihn großartig finden«, warf Anne rasch ein. »Ich nehme an, sie hat dir das Haus hinterlassen?«
»Ja.« Sharon schaute sich in dem kleinen Raum um. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie er zu Lebzeiten ihrer Großmutter ausgesehen hatte.
»Dann hatte sie also ein Testament gemacht?«
»Ein Testament?« Abwesend schaute Sharon ihre Mutter an. »Ja, Floyd Arnettes Sohn hatte vor einigen Jahren ein Testament für sie aufgesetzt, nachdem er sich als Anwalt hier niedergelassen hatte. Großmutter war seine erste Kundin.«
»Und was ist mit dem übrigen Vermögen?«, fragte Anne ungeduldig weiter.
»Außer dem Haus und dem Grundstück gab es nicht viel. Ich habe ein paar Aktien verkaufen müssen, um die Steuern und das Begräbnis bezahlen zu können.«
»Sie hat also alles dir hinterlassen?«
Sharon merkte nicht, wie gereizt die Stimme ihrer Mutter klang. »Ja, ihre Ersparnisse haben gerade gereicht, um die wichtigsten Reparaturen am Haus zu bezahlen und …«
»Du lügst!« Anne sprang auf. Unsanft stieß sie Sharon von sich. Die Reaktion ihrer Mutter kam so überraschend, dass sie wie betäubt auf dem Fußboden sitzen blieb. »Sie hätte mich niemals leer ausgehen lassen!«, schrie Anne und blickte böse auf Sharon herab. Ihre blauen Augen wirkten auf einmal kalt und hart, ihr bezauberndes Gesicht war schneeweiß. Sharon erkannte sie kaum wieder.
Langsam stand Sharon auf. Sie wusste, Annes Wutanfälle waren mit Vorsicht zu genießen. Sonst konnte es passieren, dass sie vollkommen die Beherrschung über sich verlor.
»Selbstverständlich hätte Großmutter dich bedacht«, sagte sie ruhig. »Aber sie wusste, dass du kein Interesse an dem Haus oder dem Grundstück haben würdest. Und leider ist nach Abzug der Steuern kaum Geld übrig geblieben.« Sharon hatte alle Mühe, sachlich zu bleiben.
»Für wie dumm hältst du mich eigentlich?«, fuhr Anne sie hart an. »Ich weiß genau, dass ihr Geld immer auf irgendeiner Bank vor sich hin schimmelte. Als sie noch am Leben war, musste ich ihr jeden Cent abschwatzen. Ich bestehe auf meinem Erbteil.«
»Sie hat dir gegeben, was sie konnte.«
»Woher willst du das wissen? Glaubst du, ich wüsste nicht, wie viel dieses Grundstück wert ist?« Voller Abscheu schaute sie sich im Zimmer um. »Wenn du das Haus behalten willst, bitte. Dann musst du mich eben auszahlen.«
»Ich kann dich nicht auszahlen. Dazu ist nicht genug …«
»Halt mich nicht zum Narren.« Anne stieß sie zur Seite und stürmte ins obere Stockwerk.
Sekundenlang stand Sharon wie benommen da. Was sich hier abspielte, ging über ihr Fassungsvermögen. Wie konnte ein Mensch nur so gefühllos sein? Und wieso war sie selbst immer wieder naiv genug, um sich von ihrer Mutter hereinlegen zu lassen?
Aber damit war es jetzt zu Ende. Ein für alle Mal. Das schwor sie sich. Inzwischen selbst einem Wutausbruch nahe, rannte sie hinter ihrer Mutter die Treppen hinauf.
Sharon fand Anne in ihrem Schlafzimmer, wo sie gerade dabei war, Sharons Schreibtisch zu durchsuchen.
Ohne zu zögern, stürzte Sharon durchs Zimmer und klappte den Schreibtisch zu. »Wage es ja nicht, meine Sachen anzufassen«, sagte sie drohend.
»Ich will die Kontoauszüge sehen und dieses sogenannte Testament.« Anne schickte sich an, Sharons Zimmer zu verlassen. Doch Sharon packte sie mit hartem Griff beim Arm.
»Du wirst in diesem Haus überhaupt nichts zu sehen bekommen. Es ist mein Haus.«
»Du hast Geld, das weiß ich genau«, fauchte Anne und riss sich von ihr los. »Du versuchst es vor mir zu verstecken.«
»Ich habe nichts vor dir zu verstecken. Wenn du dich über das Testament und die Vermögensverhältnisse informieren willst, dann nimm dir einen Rechtsanwalt. Ich lasse es nicht zu, dass du in meinen
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