Das schönste Wort der Welt
seine kleine, runzlige Hand.
»Ist das der Gott,
der zu entscheiden hat?«, fragte ich Gojko. Ist es dieser böse Wind?«
Ich packte unsere
Klamotten ein. Wir legten uns neben den geschlossenen Koffer aufs Bett. Morgen
würde ein neuer Bewohner in dieses Zimmer kommen und unseren Geruch vertreiben.
Wir verließen das Hotel, gingen durch die kleinen Straßen im Zentrum und
tauchten in Richtung Hafen ab. Gojko saß an einem Tisch in dem
Strandrestaurant, wo seine Freunde auf einer Art Podest eine Symphonie von
Haydn spielten.
»Haydn war stark von
der kroatischen Musik beeinflusst«, flüsterte er mir zu.
Das ist
mir scheißegal ,
dachte ich.
Seine Eroberung Ana
war die Einzige, die kein Instrument spielte, sie blätterte die Seiten des
Cellisten um, eines alten Mannes mit einem langen, wie eine Zunge
aufwärtsgebogenen Bart. Der Wind fuhr in die Kleidung der Musiker und in ihre
Haare, die Musik lief übers Wasser, und für einen Moment schien sie uns trösten
zu können. Zumal wir inzwischen einen sitzen hatten, wir hatten die letzte
Flasche Lombarda niedergemacht und schickten alles zum Teufel. Irgendwann
begann ich mich schlecht zu fühlen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte.
Diego legte mir die Hand auf den Arm, doch ich wehrte ihn ab, Lass mich, ich muss das jetzt rauslassen .
Die Musiker machten
eine Pause. Ana, Gojkos kleine Dunkelhaarige, hatte das Gesicht in die Hand
gestützt und sah mich an wie von einem Fenster aus. Ich betrachtete den Lack
auf ihren Fingernägeln, diese tanzenden roten Tupfen. Ich hatte angefangen, ihr
meinen Leidensweg zu erzählen, einfach so, vom Grund dieses Weines aus, dieser
Übelkeit. In Rom hatte ich mit niemandem darüber gesprochen, und nun schüttete
ich dieser Fremden mein Herz aus. Vielleicht lag es an ihrem Nagellack, Fischlein,
die auf mich zuschwammen. Sie zündete sich eine Zigarette an.
In einem zerrissenen
Italienisch sagte sie: »Du kannst stützen auf andere Frau.«
Und während sie
Rauchkringel in die Luft blies, erzählte sie mir, dass sie eine Österreicherin
ohne Gebärmutter, doch mit einem Restaurant in Belgrad kenne, die sich den
Bauch einer Kossovarin ausgeliehen hatte.
Ich betrachtete Anas
kleinen, gespitzten Mund, so rot wie ihre Fingernägel, in diesem breiten
Gesicht ohne Wangenknochen. Ich wusste nicht, ob sie eine Fee oder eine Hexe
war. Ich ging weg und übergab mich hinter den Klippen.
Am nächsten Morgen
waren wir schon zeitig am Landungssteg. Mit Sonnenbrille und sauberem T-Shirt.
Zwei sorglose Touristen auf dem Heimweg. Wir waren zu früh und setzten uns in die
Hafenbar, um eine Limonade zu trinken. Ante war nirgends zu sehen. Wir warteten
auf ihn, ohne den Mut zu haben, uns das zu sagen. Wir waren unruhig und hatten
das Gefühl im Rücken, dass er sich ein Stückchen weiter hinter einer der rosa Mauern
postiert hatte und zu uns herüberspähte. Wir blieben bis auf den letzten
Drücker auf der Mole, Gojko kam mit freiem Oberkörper, schon von weitem hörten
wir das Schlappen seiner zerlatschten Dior-Mokassins. Es war ein merkwürdiger
Abschied. Und merkwürdig war auch das Gedicht, das er uns widmete.
Genügt
der weiße Streifen der Morgenstunde
um uns
von der Nacht zu trennen?
Werden
wir uns wiedersehen?
Wir gingen an Bord
der Fähre. Stützten uns wie zwei Vögel auf das Geländer aus weißen Rohren. Ante
tauchte erst am Kai auf, als das Schiff ablegte. Wir sahen ihn auf die Mole
laufen. Dort blieb er stehen, denn davor war das Meer, und er konnte nicht
schwimmen. Er war kaum größer als einer der Eisenpoller. Er schwenkte einen
Arm, nur einen schwarzen Arm, der mir wie eine Kralle in den Augen blieb.
Erst als wir ihn
nicht mehr sahen, gingen wir unter Deck. Es roch nach Schiff, nach feuchtem
Teppichboden und Treibstoff, nach an Rost haftendem Salz. Ein Fernseher lief
ohne Sender, ein verschneiter Bildschirm, ein Rauschen.
Diego stand auf: »Ich
muss mal aufs Klo.« Ich fand ihn hinter einem hängenden Rettungsboot. Er war
zusammengekauert und schwankte auf den Fersen, wie ein Ei. Ich schaute aufs
Meer und stellte mir vor, Diego an die Hand zu nehmen und loszuspringen,
hinunter, hinter den Schaum. Wer weiß, ob wir nicht unter all dem Meer ein
anderes Leben gefunden hätten. Fische ,
dachte ich, wir
sind nichts als Fische … Kiemen, die sich aufblähen und schließen … Dann kommt
eine Möwe, packt uns von oben und zerfleischt uns, während sie uns fliegen
lässt, vielleicht ist das die Liebe.
Ein Knall zerfetzte
die
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