Das schönste Wort der Welt
der
Straße etwas Brot gegessen und ihm auch ein Stück zugeworfen, da ist er mir
nicht mehr von der Seite gewichen.« Er streichelt den Hund, der sofort zu ihm
gekommen ist und nun die Schnauze reckt wie ein süßes Waisenkind. Die Mandarinen
sind aufgegessen. Mein Vater schaut auf das Gepäck. Er hat es keine Sekunde aus
den Augen gelassen. »Was werdet ihr für Wetter haben? Regen?«
Er nimmt die volle
Mülltüte aus dem Eimer.
»Aber, Papa, was
machst du denn da, willst du unseren Müll wegbringen?«
»Was ist denn dabei?«
»Lass das.«
Er ist stärker als
ich, energischer. Wütend hält er die Mülltüte fest.
»Lass mich doch
irgendwas tun, Herrgott noch mal!«
Er besteht am
folgenden Morgen darauf, uns zum Flughafen zu bringen. Mit dem Taxi ginge es
leichter, schneller. Stattdessen müssen wir mit diesem Mann fahren, der mein
Vater ist, im Morgengrauen aufsteht und im Auto auf uns wartet, viel zu früh
wie ein gewissenhafter Chauffeur. Er klingelt an der Sprechanlage.
»Ich warte hier
unten, lasst euch Zeit.«
Er mag dieses
Morgengrauen und ist so vergnügt, als würde er zum Angeln fahren. Er ist frisch
rasiert und trägt sogar eine Krawatte, wirklich wie ein Chauffeur. Er duftet
nach seinem Aftershave und nach dem Kaffee, den er in der Bar getrunken hat.
So sitze ich nun
hinter diesem grauen, vertrauten Nacken. Wie damals, als ich klein war und er
mich zur Schule fuhr. In Mathematik war ich nicht gut, ich litt. Schreib ab, setz dich neben jemanden, der
dich abschreiben lässt. Ich wurde rot, dieser Rat wollte nicht zu meinem Stolz passen. Papa, du verstehst aber auch gar nichts . Dabei verstand er alles. Lerne nur das, was dir Spaß macht, Gemma, den
Rest überlass den anderen, mach dich nicht verrückt .
Er fährt
konzentriert, achtet auf alles. Und es ist, als wollte er uns ein Zeichen
geben, als wollte er uns raten, ebenfalls vorsichtig zu sein. Er zeigt
keinerlei Unsicherheit. Weiß, wie er fahren muss und welche Auffahrt zum
Flughafen er nehmen muss, um uns am richtigen Eingang abzusetzen, offenbar hat
er sich den Weg vorher genau angesehen. Er öffnet den Kofferraum, läuft los, um
einen Gepäckwagen zu holen. Er verabschiedet sich hastig von uns, will uns
nicht zur Last fallen. Heute Morgen will er ein Profi sein, einer von denen,
die die Leute ans Ziel bringen und dann verschwinden, weil sie noch andere Verpflichtungen
haben. Er hat keine Verpflichtungen, tut aber so, als ob. Er steigt wieder ins
Auto, nickt. Seine Kiefer hinter der Scheibe sind angespannt. Er sagt nur
eines: Ruft an .
Vielleicht bleibt er
noch in Fiumicino, macht einen Strandspaziergang und wartet, bis es Mittag ist,
halb eins. Er isst gern gebackenen Dorsch. Ich stelle mir vor, wie er einen
ganzen Teller davon herunterschlingt, und bin mir sicher, dass er sich auch
Wein bestellt, eine gekühlte Flasche, er wird sie austrinken und rote Wangen bekommen.
Wenn er allein ist, macht er es sich gemütlich, ich kenne ihn. Sein ganzes
Leben war er bemüht, ein Vorbild zu sein, für mich, die ich immer ein bisschen
dämlich war, und das Privileg eines solchen Vaters werde ich erst begreifen,
wenn er weg ist, wie die Fliegen und der Wind, wie immerfort alles.
Die Fliegen sitzen
auf dem Brotkorb, einem dieser Plastikkörbchen, die man am Meer bekommt, in den
Restaurants an den Badestellen. Mein Vater isst und trinkt, er genießt das
Salz, den blauen Anblick des Meeres. Von dort aus kann er die startenden
Flugzeuge sehen, die erst einen Bogen fliegen, bevor sie auf Kurs gehen.
In einem dieser
Flugzeuge sitzen wir, er hat uns nachgeschaut, hat das Kinn angehoben. Kurz
zuvor waren wir noch nah und groß, Körper und Geruch, jetzt sind wir in den
Himmel gesandte Schicksale. Mein Vater betrachtet die Entfernung zwischen dem
Nichts und dem Alles, zwischen diesem Furz aus weißem Rauch mitten in den
Wolken und dieser Liebe da unten, zärtlich in einem Herz, das langsam alt wird.
»Woran denkst du?«,
fragt mich Diego, während der Flügel des Flugzeugs der im Fenster gespiegelten
Spur der Sonne folgt.
»Ach, an nichts.«
Auf dem scheinbar
reglosen Flugzeugflügel sitzt mein Vater.
Da ist
etwas, das du mir nicht sagst, stimmt’s, Gemmina?
Was
denn, Papa?
Sag’s
mir nicht, ist nicht so wichtig .
Wir sitzen in der Business-Class
Wir sitzen in der
Business-Class, breite Sessel, richtige Trinkgläser und Servietten. Ich hatte
keine Lust, in der Economy-Class zu fliegen, nicht in diesen hinfälligen
Flugzeugen. Ich hatte keine Lust
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