Das schwarze Blut
auseinander. Eine zuckende, abgehackte Schrift, die wie unter Strom stand; stellenweise hatte der Stift das Papier durchstoßen.
… Du zwingst mich zu Entscheidungen, die ich nie und nimmer hätte treffen wollen. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, du hast mir etwas genommen, das mir teuer ist. Und es gibt nur einen Weg, mir mein Eigentum zurückzuholen …Mark stockte der Atem. Ihm war, als hätte sich ein eiserner Riemen um seinen Brustkorb gelegt, der ihm die Luft abschnürte. Was bedeutete diese Drohung? Er übersprang ein paar Zeilen und las:
… Meine Elisabeth … Denk an den einen Satz: ›Dieses Papier ist deine Haut, diese Tinte ist mein Blut.‹ Wir haben einen Pakt geschlossen. Du wirst deinen Schwur halten müssen, so oder so …Mark warf das Papier ins Feuer. Die Zeilen rollten sich zwischen den Flammen ein und waren bald verschwunden. Er aber war sicher, dass diesmal das Feuer nicht ausreichen würde. Diesmal ließ sich nichts auslöschen. Und nichts ließ sich vergessen.
Der letzte Brief. Er übergab ihn dem Feuer, ohne ihn zu öffnen. Ein Satz ging ihm unaufhörlich im Kopf herum: »Dieses Papier ist deine Haut, diese Tinte ist mein Blut … «Er wusste nicht wann, und er wusste nicht wie, aber er war überzeugt, dass er irgendwann würde büßen müssen.
Dass Blut fließen würde, so oder so.
KAPITEL 73
Renata Santi hatte sich nicht lumpen lassen.
Statt eines Empfangs in den Verlagsräumen oder in irgendeinem verstaubten Lokal hatte sie für die Präsentation ihres Spitzentitels einen neu eröffneten Club am Seine-Ufer, in einem der letzten aufgelassenen Lagerhäuser am Pont Tolbiac gemietet: Les Remises. Dort wurde am Dienstag, dem 14. Oktober, das Erscheinen des ersten Romans von Mark Dupeyrat gefeiert: Schwarzes Blut war ein Sensationserfolg, ein angekündigter Bestseller.
Der Ort war ungewöhnlich, aber ideal für Renatas Strategie, die entgegen den Konventionen der Verlagswelt ihren Thriller mit unverhohlenem Vergnügen – gleichsam als Fanal ihrer Absicht, ihn zu dem Ereignis der Saison zu machen – zwischen lauter literarische Neuerscheinungen setzte.
Bisher war ihre Rechnung aufgegangen.
Wie versprochen, hatte sie das Buch innerhalb eines Monatsherausgebracht. Mark war beeindruckt. Er hatte schon erlebt, dass Dokumentationen über brandaktuelle Themen innerhalb weniger Wochen ausgeliefert wurden, hätte aber für das Erscheinen eines Romans wesentlich mehr Zeit veranschlagt. Nicht mit Renata. Während er noch mit den letzten Überarbeitungen beschäftigt war, gingen bereits die Fahnen an die Korrektoren.
Parallel dazu entstanden Layout und Umschlag – Renata rückte an allen Fronten gleichzeitig vor. Zwar beriet sie sich in allen Stadien des Prozesses mit Mark, doch das geschah nur der Form halber. Und er wusste genau, wer der Chef war. Ende September war alles fertig, es musste nur noch gedruckt werden; unterdessen wurden die ersten Leseexemplare an die Presse verschickt, und die Marketingkampagne lief an.
Am Abend des 14. Oktober lag das Ergebnis vor: Schon vor dem ersten Verkaufstag war das Buch ein rauschender Erfolg. In allen Medien war die Rede von ihm, und in einschlägigen Kreisen gehörte es zum guten Ton, sich auf Veranstaltungen jeglicher Art zuzuraunen, der Krimi sei ja zweifellos eines der besten Bücher in diesem Herbst. Renata rieb sich die Hände: Während sich die Schriftsteller um einen Platz auf der Liste der Kandidaten für Literaturpreise zankten, füllte sie Bestellformulare aus und verschickte ihren Renner palettenweise in die Buchhandlungen und Kaufhäuser. »Ein Phänomen!«, »Eine Apokalypse!«, tönte sie durch die Verlagsräume.
Mark war im siebten Himmel. Wie berauscht ließ er sich von diesen wonnigen Wogen der Komplimente, Schmeicheleien, Angebote schaukeln … Und natürlich der Scheck: Soeben hatte er die zweite Hälfte seines Vorschusses eingestrichen. Seine erste Tat, nachdem das Werk fertig vorlag, war die Begleichung seiner Schulden bei Vincent gewesen. Auch dies ein Versuch, den Fall Reverdi zu den Akten zu legen.
Seit seinem finsteren Exorzismus in Nanterre waren seine Ängste wie weggeblasen. Der Termin für Reverdis Prozess war jetzt auf den 5. November festgesetzt. Der mutmaßliche Mörder war dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden, hatte aber jede Aussage verweigert, was als besonders »erschwerender« Umstand gewertet wurde. Nun stand nur noch die Rekonstruktion des Tathergangs aus, dann würde der Verdächtige ins
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