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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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an einen Pfeiler gelehnt, reagierte Mark auf das Lächeln, die Komplimente der Leute zwar mit einem Nicken, war aber nicht mehr bei der Sache. Zum Glück machte die Musik jeder Unterhaltung alsbald den Garaus. Er war bestürzt, wie schnell sich die Panik seiner wieder bemächtigt hatte. Eine simple Anspielung auf die Realität – den Prozess, Reverdi – genügte, und schon wurden ihm die Knie weich. Das Gefühl von Sicherheit, in dem er sich während der vergangenen Wochen gewiegt hatte, war nichts als ein dünner Firnis. In Wahrheit hatte ihn Jacques Reverdi keine Sekunde verlassen – und würde ihn auch nie mehr verlassen.
    Jemand beugte sich zu ihm herüber:
»Die Tucherinnung nie?«
»Was?«, fragte Mark erschrocken.
»Ich sagte: Superstimmung, wie?«
Mark nickte, sein Atem ging schneller. Er trank einenordentlichen Schluck Whisky. Der Rhythmus der Musik schwoll zu einem Donnergrollen an, schwappte über ihm zusammen und erfüllte ihn in dem Maß, wie der Alkoholpegel in seinem Blut stieg.
    Eine Hand packte ihn an der Schulter:
»Sakrament, eine Rolle Grammofon!«
»Wie bitte?!«
»Kompliment, tolle Präsentation, sagte ich!«
Mark wich zurück. Er sah sich umringt von lauterleichenblassen Gesichtern – ein Karneval albtraumhafter Visionen, welke Hautfetzen an Knochengerüsten: Die stroboskopischen Lichtblitze rissen Körper in Stücke, hoben Gesichtszüge übertrieben hervor, ließen Mienen zu Masken erstarren. Er betrachtete sein Glas – ein goldener Funkenregen rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Er sah die Erscheinung an wie einen Talisman, eine Quelle der Halluzinationen; dann trank er noch einen Schluck. Er nahm von seiner Umgebung nichts mehr wahr. Schieres Entsetzen machte sich in ihm breit.
    In dem Moment sah er sie.
Ihre Silhouette schlingerte im Gebläse der Ventilatoren. Der Körper zuckte und stampfte, während die dunklen Locken unddie Armreifen an ihren Handgelenken einen eigenen Tanz aufführten. Diese Bewegung schien das Schwingen der Hüften zu isolieren und zu einer schimmernden textilen Form zu kristallisieren, die Lichtreflexe warf – Mark dachte an das Sieb eines Goldwäschers, in dem, wenn der Sand abläuft, ein paar Körnchen Gold hängen bleiben.
    Auch die Maler des neunzehnten Jahrhunderts kamen ihm in den Sinn, die den Rücken ihrer Modelle oft um einen zusätzlichen Wirbel zu verlängern pflegten, um ihn geschmeidiger, anmutiger wirken zu lassen. Wie viele zusätzliche Wirbel besaß wohl Khadidscha? Gebannt starrte er sie an. Er sah, wie sie die Hüften schwang, das Gewicht erst leicht auf die linke, dann auf die rechte Ferse verlagerte und einen Venusring um ihre Taille erzeugte, während an ihren schmalen Handgelenken die silbernen Ringe auf und nieder tanzten, wie die Schalen einer alten Waage …Im selben Moment schoss ihm ein anderes Bild in den Kopf: die sich windende, an einen Pfahl – einen mit Honig eingestrichenen, glänzenden Pranger – gefesselte Khadidscha, der sich die Stricke ins Fleisch gruben. Die wieder verschlossenen Einschnitte schwollen an, indes ihr Körper sich nach Luft ringend aufbäumte, und mit einem Mal klaffte das Fleisch überall auf, schwarz quoll das Blut hervor und zeichnete ein tödliches Muster …Mark senkte den Blick auf sein leeres Glas und entdeckte, monströs verzerrt, sein Spiegelbild darin. Mit dem Porträt dieser dunklen Schönheit hatte er das Begehren eines Mörders geweckt und geschürt. Er hatte sie einem Psychopathen dargeboten. Und gleichzeitig hatte er selbst viele Wochen lang in »ihrer« Haut gesteckt, hatte gedacht, gehandelt, geschrieben wie sie.
    Das Glas zerbarst zwischen seinen verkrampften Fingern. Bestürzt sah er das Blut von seiner Handfläche tropfen. Er war »sie« gewesen.
Und jetzt wurde ihm bewusst, dass er sie liebte.
    Trotz der Scheinwerfer, die sie blendeten, erspähte sie auf einmal von der Tanzfläche herab den kleinen Rothaarigen. ER wirkte verloren. Traurig wie ein ausgesetzter Kobold.
    Mit einem Satz sprang sie herab. Um ein Haar wäre sie gestürzt und merkte, dass der ungewohnte Alkohol ihr zu Kopf gestiegen war – Pfennigabsätze und Champagner, das vertrug sich schlecht. Dennoch ging sie nicht gleich auf ihre Beute los, sondern bahnte sich einen Weg zur Bar, wo sie sich vom Tablett eines Kellners ein neues Glas Champagner schnappte. Die Hand mit dem Glas hoch über die Köpfe der Menge erhoben, brachte sie es fertig kehrtzumachen, ohne einen Tropfen zu verschütten.
    Hinterhältig schlich sie

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