Das schwarze Blut
sich an ihn heran.
»Hallo!«, rief sie, während sie ihn von hinten überrumpelte, und brach in Gelächter aus.
Mark fuhr herum und sagte kein Wort. Er wirkte feindselig.
»Charmant wie immer!«
Sie prustete und stützte sich an seiner Schulter ab, um nicht zu fallen.
»Das wollte ich dir schon lang sagen«, schrie sie ihm ins Ohr: »Du bist echt nicht koscher!«
Sie gluckste und leerte ihr Glas. In ihrem berauschten Zustand kam ihr die Situation zum Schreien komisch vor. Er musterte sie zornig:
»Bist du betrunken, oder was?«
»Ich bemüh mich jedenfalls! In einer Stunde hab ich’s nur zweimal bis zur Bar geschafft.«
Sie lachte wieder, doch Mark blieb missmutig. Er griff nach der Whiskyflasche auf dem Stehtisch neben ihm und füllte Khadidschas Glas mit einer Geste, aus der verhaltene Wut sprach. Der Anblick des zähflüssigen Getränks in ihrem filigranen Glas erschien ihr obszön. In einem kurzen klaren Moment fuhr ihr der Gedanke durch den Sinn: Das ist doch alles völlig krank, völlig verrückt.
Verzweiflung packte sie. Alles entglitt ihr: So anders hatte sie sich dieses Wiedersehen vorgestellt! Tränen stiegen ihr in die Augen, während unter ihren Füßen der Boden zu schwanken schien, als hätte sich das Lagerhaus vom Flussufer gelöst und triebe jetzt auf der Seine dahin. Sie nahm einen Schluck Whisky, der ihr scharf in der Kehle brannte, und riss sich wieder zusammen. An den Pfeiler in ihrem Rücken gelehnt, sagte sie:
»Weißt du, dass wir, Vincent und ich, auch was zu feiern haben?«
»Was?«
»Eine neue Kampagne. Élégie kommt jetzt im ganz großen Stil heraus.«
Mark packte sie so brutal am Handgelenk, dass sich ihre Armreifen ins Fleisch gruben.
»Nicht im Ausland, hoffe ich?«
Khadidscha befreite sich aus seiner Umklammerung und blickte überrascht auf die Blutspuren an ihrem Arm.
»Was ist das denn?«
Mark griff wieder nach ihrem Handgelenk, und diesmal spürte sie, dass seine Hand klebrig war – er war verletzt.
»Nicht im Ausland?«, schrie er ihr ins Ohr.
Der Typ ist wahnsinnig, dachte sie. In dieser Sekunde hasste sie ihn.
»Doch, stell dir vor«, schleuderte sie ihm entgegen. »Eine Riesenkampagne in Asien. Japan, China, Thailand, Malaysia! Da staunst du, was? Von der Kohle ganz zu schweigen!« Ihr Ton veränderte sich, ein Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu.
»Mark! Mark! Wo willst du denn hin?«
KAPITEL 74
Beim ersten Läuten öffnete Mark die Augen: Er war in seinem Bett. Ein Wunder. Wie war er nach Hause gekommen? Er streckte einen Arm aus dem Bett und bemerkte dabei seine sachgerecht verbundene Hand. Noch ein Wunder. Er hatte keine Erinnerung daran, dass er in dieser grauenhaften Nacht im Krankenhaus gewesen oder zumindest mit einem Arzt zusammengetroffen wäre.
Erneutes Läuten.
Er versuchte sich zu bewegen und wurde sich seiner Metamorphose bewusst. Sein Schädel, nicht nur die Knochenhülle, sondern mit ihr auch alle Membranen und dasGehirn hatten sich versteinert. Bleischwer und steinhart drückte sich sein Kopf, von der schieren Masse niedergepresst, ins Kissen. Niemals wäre sein Nacken stark genug, um dieses Gewicht in die Höhe zu stemmen.
Wieder läutete es.
Nah, schrill, unerträglich. Vor seinem inneren Auge entstand Khadidschas Bild: Sie tanzte auf der Bühne, ihr Körper wogte geheimnisvoll, und dazu hörte er ihre Stimme: »Du bist doch echt nicht koscher!«Es läutete zum vierten Mal.
Jetzt gelang ihm immerhin eine zaghafte Bewegung. Er kehrte ins Leben zurück. Leider: Prompt fiel ihm alles wieder ein. Die Katastrophe, die Khadidscha ihm angekündigt hatte. Die neue Werbekampagne für Elégie in ganz Asien. Das war der SuperGAU. Elisabeths Gesicht würde auch den Weg in Jacques Reverdis Zelle finden. Keine Frage, dass es ihm irgendwo begegnete.
Mark ahnte das ungeheure Ausmaß seines Zorns voraus. Er sah die Wolke seiner Wut aufsteigen, wie man in der Wüste den Harmattan herannahen spürt: als gemächliche, dunkle, giftige Rauchsäule am Horizont. Eine Wut, die sehr bald über ihn hereinbrechen und ihn wie ein Insekt zerquetschen würde.
Mark mühte sich aus dem Bett. Nach einer Zeit, die ihm endlos schien, hatte er es geschafft, sich zur Seite zu schwingen, und krümmte sich zusammen wie ein Soldat mit Bauchschuss. Allein diese Bewegung kippte in seinen Eingeweiden eine Whiskylache aus. Er hatte nicht nur einen schweren Kater, sondern auch einen ruinierten Magen.
Das Läuten steigerte sich zum Dauerton.
Er stemmte sich auf einen Ellenbogen und streckte
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