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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Oberhand gewonnen. Die von ihren Uniformen, Waffen und Ketten behinderten Wärter waren in Panik geraten, während das Wasser eindrang und das Fahrzeug schnell voll lief. Binnen Minuten waren sie ertrunken.
    Der Taucher hingegen war ganz ruhig geblieben. Er hatte den Atem angehalten, seinen Herzrhythmus verlangsamt und sich seelenruhig untergehen lassen. Dann hatte er die Taschen der Ertrunkenen nach dem Schlüssel für die Handschellen abgesucht und sich befreit. Er hatte die Tür aufgestemmt oder ein Fenster eingeschlagen und war ans Ufer geschwommen. Vielleicht war er sogar dort angelangt, ohne ein einziges Mal aufzutauchen. Wie lange hatte er für seine Flucht unter Wasser gebraucht? Drei Minuten? Vier? Für einen Taucher seines Formats jedenfalls in annehmbarer Zeit.
    Nein, kein Zweifel: Jacques Reverdi lebte.
Und er, Mark, war ein toter Mann.
Er ging weder an sein Festnetz- noch an sein Mobiltelefon.
    Nur auf einen Anruf am frühen Nachmittag reagierte er, als er auf dem Band Vincents Stimme erkannte. Vincent, erfuhr er jetzt, hatte ihn auf der Treppe des Clubs aufgelesen und gemeinsam mit Khadidscha in die Notaufnahme der nächsten Klinik gefahren, den Bewusstlosen anschließend nach Hause gebracht und wie ein kleines Kind ins Bett verfrachtet.
    Mark dankte ihm am Telefon, erwähnte den Fall Reverdi aber mit keinem Wort. Offensichtlich wusste Vincent nichts von den neuesten Entwicklungen. Wieder versank er in dumpfes Brüten. Um siebzehn Uhr nahm er einer plötzlichen Eingebung folgend noch einmal das Telefon ab: Renata Santi hatte ihn schon fünf Mal zu erreichen versucht. Er unternahm einen letzten Versuch, um die Katastrophe noch abzuwenden.
    »Sie müssen die Auslieferung stoppen«, befahl er ohneUmschweife.
»Wie bitte?«
»Wir müssen alles stoppen!«
Die Verlegerin brach in helles Lachen aus.
»Sind Sie verrückt geworden? Wieso das denn?«
»Ich habe meine Gründe.«»Weil Reverdi tot ist? Also wirklich, Mark, ich verstehe Sie immer weniger …«
»Stoppen Sie die Auslieferung!«
»Unmöglich. Die Bücher sind seit heute Morgen in den Buchhandlungen.«
»Es wird doch in Gottes Namen eine Möglichkeit geben, die nächsten Lieferungen aufzuhalten!«»Zwanzigtausend Exemplare sind ausgeliefert. Seien Sie doch vernünftig, Mark. Mir reißt allmählich der Geduldsfaden mit Ihnen. Im Übrigen kommt dieser Unfall in Malaysia wie gerufen. Die Interviewanfragen regnen nur so herein …«Mark legte auf. Er ließ sich zu Boden fallen. Vernichtet. Stundenlang blieb er dort sitzen, während er den Anrufern zuhörte, die ihre Nachrichten auf Band hinterließen: hysterische Proteste von Renata, wiederholte Forderungen von Verghens, Überfälle von Kollegen und – das war die Höhe – mehrere Anrufe von Khadidscha, die wissen wollte, ob es ihm besser ging.
    Schließlich schob sich zwischen den zugezogenen Vorhängen die Nacht ins Atelier. Er rührte sich noch immer nicht. Er hatte nicht einmal die Kraft, sich einen Kaffee zu brauen. Er war in die eigene Falle getappt, die jetzt gnadenlos zuschnappte, und sonderbarerweise empfand er bei dem Gedanken so etwas wie Erleichterung. Von Anfang an hatte er gewusst, dass die Geschichte ein böses Ende nehmen würde. Jetzt blieb ihm nur noch, auf den Tod zu warten.
    Keinen Augenblick lang kam er auf die Idee, die Koffer zu packen und sich aus dem Staub zu machen. Ebensowenig wie er daran dachte, die Polizei zu informieren. Dabei wäre das die vernünftigste Lösung. Freilich hätte er Schwierigkeiten, den Bullen klar zu machen, dass er ein Dossier mit hieb- und stichfesten Beweisen besaß – allem voran die Briefe von Reverdi. Diese Dokumente belasteten natürlich auch ihn selbst: Unterschlagung von Beweismaterial, Mitwisserschaft mit einem Mörder … Er sah sich wieder die Leiche auf der Toteninsel ausgraben.
    Ja, er war der Komplize eines Psychopathen. Er hätte einen wichtigen Beitrag zu den Ermittlungen leisten können und hatte geschwiegen. Er hätte die Angehörigen der verschwundenen Mädchen verständigen, hätte den mit dem Fall befassten Anwälten helfen können und hatte keinen Finger gerührt. Ohne einen Gedanken an die Ermittler, gleichgültig gegenüber dem Kummer der Familien hatte er es vorgezogen, sein Buch zu schreiben und berühmt zu werden. Der vollkommene Egoist. Den Pulitzerpreis für den schlechtesten Journalisten, das war es, was er verdiente. Und obendrein ein paar Jahre Knast …Mark war in Frankreich schon zweifach vorbestraft, wegen

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