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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Fingerknochen pochte von der Türe her …«
    In genau diesem Augenblick klopft etwas leise an die billige Glasfasertür von Tansy Freneaus Wohnwagen. Sie sieht mit unstetem Blick auf und schürzt ihre vom Kaffeebrandy glänzenden Lippen.
    »Les’ser? Bist du’s?«
    Er könnte es sein, vermutet sie. Nicht wieder die Fernsehleute, hoffentlich nicht. Sie hat sich geweigert, mit den Fernsehleuten zu reden, hat ihnen die Tür gewiesen. In irgendeinem tief verwurzelten und betrüblich gerissenen Teil ihres Verstands weiß sie, dass die Fernsehleute sie nur einlullen und trösten würden, um sie danach im grellen Licht ihrer Scheinwerfer als dumm hinstellen zu können, genau wie die Leute in diesen Entblößungstalkshows zuletzt immer als Idioten dastehen.
    Keine Antwort … und dann kommt es wieder. Klopf. Klopf-klopf.
    »’s ist Besuch wohl«, sagt sie und steht auf. Ihr kommt es vor, als stünde sie im Traum auf. »›’s ist Besuch wohl‹, murrt ich, ›was da pocht so knöchern zu mir her – das allein – nichts weiter mehr.‹«
    Klopf. Klopf-klopf.
    Nicht wie ein abgewinkelter Fingerknöchel. Das Geräusch ist schwächer. Ein Ton wie von einem einzelnen Fingernagel.
    Oder von einem Schnabel.
    Sie durchquert den Raum in einem Nebel aus Drogen und Brandy, ihre bloßen Füße sirren über den Teppichboden, der einst hochflorig war und jetzt kahle Stellen aufweist: die Exmutter. Sie öffnet die Tür zu dieser nebligen Sommernacht, sieht aber nichts, weil ihr Blick zu weit in die Höhe gerichtet ist. Dann raschelt etwas auf der Fußmatte.
    Irgendetwas, irgendein schwarzes Ding sieht mit blanken, fragenden Augen zu ihr auf. Es ist ein Rabe, Omeingott, das ist Poes Rabe, der gekommen ist, um ihr einen Besuch abzustatten.
    »Jesus, ich hab Hallus«, sagt Tansy und fährt sich mit beiden Händen durch ihr dünnes Haar.
    »Jesus!«, wiederholt die Rabenkrähe auf der Fußmatte. Und dann munter wie eine Meise: »Gorg!«

    Würde man sie fragen, würde Tansy sagen, sie sei zu bekifft, um Angst zu haben, aber das stimmt offenbar nicht, sie stößt nämlich einen verwirrten kleinen Schrei aus und weicht einen Schritt zurück.
    Die Krähe hüpft flott über die Schwelle, stolziert über den verblassten purpurroten Teppichboden und sieht dabei mit blanken Augen weiter zu ihr auf. Die Federn glitzern von kondensierten Nebeltropfen. Sie hüpft an Tansy vorbei und macht dann Halt, um ihr Gefieder aufzuplustern und sich zu putzen. Dabei sieht sie sich um, als wollte sie fragen: Na, wie gefalle ich dir, Sweetheart?
    »Hau ab«, sagt Tansy. »Ich weiß nicht, was zum Teufel du bist oder ob du überhaupt existierst, aber …«
    »Gorg!«, insistiert die Rabenkrähe, dann breitet sie die Flügel aus und fliegt durch den Wohnraum des Wohnwagens: ein vom Rücken der Nacht weggebrannter verkohlter Fleck. Tansy weicht kreischend zurück und schützt unwillkürlich ihr Gesicht mit den Händen, aber Gorg kommt nicht in ihre Nähe. Er landet neben der Flasche auf dem Tisch, weil gerade keine Pallas-Büste zur Hand ist.
    Er hat sich im Nebel verflogen, denkt Tansy, das ist alles. Vielleicht hat er sogar Tollwut oder diese Leim-Borrelose oder wie die sonst heißt. Ich sollte in die Küche gehen und den Besen holen. Ihn rausscheuchen, bevor er hier alles voll scheißt …
    Aber die Küche ist zu weit weg. In Tansys gegenwärtigem Zustand scheint die Küche Hunderte von Meilen weit entfernt zu sein, irgendwo in der Nähe von Colorado Springs zu liegen. Und wahrscheinlich ist überhaupt kein Rabe da. Die Erinnerung an dieses gottverdammte Gedicht hat sie dazu gebracht, Halluzinationen zu haben, das ist alles … das und der Verlust ihrer Tochter.
    Der Schmerz dringt zum ersten Mal durch den Nebel, und Tansy zuckt unter seiner grausamen, widerborstigen Hitze zusammen. Sie erinnert sich an die kleinen Hände, die ihren Nacken manchmal so fest umschlangen. An die Schreie in der Nacht, die sie aus dem Schlaf ans Kinderbett holten. An ihren Geruch, wenn sie frisch gebadet war.
    »Ihr Name war Irma!«, schreit sie die Fantasiegestalt an, die
so keck neben der Brandyflasche steht. »Irma, nicht Lenore, verdammt noch mal, was für ein blöder Name ist das überhaupt … Lenore? Lass hören, wie du Irma sagst!«
    »Irma!«, krächzt der Besucher gehorsam, sodass sie entsetzt verstummt. Und seine Augen. Ah! Die glitzernden Augen ziehen sie an wie die Augen des alten Seefahrers in diesem anderen Gedicht, das sie auch hätte lernen sollen, aber nie gelernt

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