Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
schwach erhellten Teil seines Verstands, in dem seine Intuition ihren Sitz hat, beginnen Lichter aufzuflammen. Noch nicht viele, aber doch mehr als nur ein paar.
»Ein Falott«, sagt er, als hätte er dieses Wort nicht richtig verstanden. »Was ist das?«
Potter wirft ihm einen kurzen, irritierten Blick zu. »Ein Bürger, der … nun, nicht genau ein Bürger . Jemand, der Leute mit guten Beziehungen kennt. Oder den Leute mit guten Beziehungen vielleicht manchmal anrufen. Vielleicht tun sie sich ab und zu gegenseitig einen Gefallen. Ein Falott eben … nicht gerade ein Ehrenmann.«
Nein, denkt Jack, aber als Falott kann man’s zu einem Cadillac bringen, der wundervoll dahingleitet.
»Waren Sie jemals so einer, George?« Es wird Zeit, etwas freundschaftlicher zu werden. Das wäre keine Frage gewesen, die Jack an Mr. Potter hätte stellen können.
»Schon möglich«, sagt Potter nach einer widerstrebenden, nachdenklichen Pause. »Vielleicht war ich einer. Damals in Chicago. Wer die großen Verträge an Land ziehen wollte, musste immer ein paar Leute schmieren. Ich weiß nicht, wie’s heute dort zugeht, aber damals war man als anständiger Bauunternehmer ein armer Unternehmer. Sie wissen, was ich meine?«
Jack nickt.
»Der größte Deal, der mir je geglückt ist, war eine Wohnsiedlung auf der South Side in Chicago. Genau wie in dem Song über den bösen, bösen Leroy Brown.« Potter kichert heiser. Einen Augenblick lang denkt er nicht an Krebs, falsche Anschuldigungen oder einen nur knapp verhinderten Lynchmord an ihm. Er lebt in der Vergangenheit, die zwar vielleicht etwas anrüchig, aber besser als die Gegenwart ist – die an der Wand festgekettete Koje, das WC aus rostfreiem Stahl, der Krebs in seinen Eingeweiden.
»Mann, das war riesig , ohne Scheiß! Reichlich Bundeszuschüsse, aber die Entscheidung über die Vergabe lag bei den Lokalpolitikern. Und ich und dieser andere Kerl, dieser Falott, wir haben uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, um …«
Er spricht nicht weiter, sondern starrt Jack mit großen Augen an.
»Scheiße, was sind Sie, ein Hexenmeister?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich sitze nur hier.«
»Das war der Kerl, der hier aufgekreuzt ist! Das war der Falott!«
»Da komme ich nicht ganz mit, George.« Aber Jack versteht
durchaus. Und obwohl er aufgeregt zu werden beginnt, lässt er sich das so wenig anmerken wie damals, als die Barfrau ihm von Kinderlings verräterischer Angewohnheit erzählt hat.
»Hat vermutlich aber doch nichts zu bedeuten«, sagt Potter. »Dieser Kerl hatte allen Grund, meine Wenigkeit nicht zu mögen, aber er muss längst tot sein. Mein Gott, er wäre jetzt weit über achtzig.«
»Erzählen Sie mir von ihm«, sagt Jack.
»Er war ein Falott«, sagt Potter, als wäre damit alles erklärt. »Er muss in Chicago oder irgendwo in der näheren Umgebung Schwierigkeiten bekommen haben. Als er nämlich hier aufgekreuzt ist, hat er sich anders genannt, daran erinnere ich mich jetzt ziemlich sicher.«
»Wann war das, als Sie ihn bei dem Deal wegen der Wohnsiedlung reingelegt haben, George?«
Potter lächelt, und irgendetwas an der Größe seiner Zähne und ihrer Art, unnatürlich weit aus dem Zahnfleisch zu ragen, lässt Jack erkennen, wie rasch der Tod auf diesen Mann zueilt. Er empfindet einen leichten Schauder, aber er erwidert das Lächeln ganz ungezwungen. Auch das gehört zu seiner Methode.
»Wenn wir von Falotten und Reinlegen reden wollen, sollten Sie mich lieber gleich Potsie nennen.«
»Also gut, Potsie. Wann haben Sie diesen Kerl in Chicago aufs Kreuz gelegt?«
»Das ist der einfachste Teil«, sagt Potsie. »Es war Sommer, als die Ausschreibung rausgegangen ist, aber die großen Tiere haben noch darüber gejammert, wie im Vorjahr die Hippies in die Stadt gekommen sind und den Cops und dem Oberbürgermeister ein blaues Auge verpasst haben. Also tippe ich mal auf 1969. Die Sache war so, dass ich nicht nur dem Stadtbaurat einen riesigen Gefallen getan hatte, sondern auch seiner Alten, die großen Einfluss in dem Gleichstellungsausschuss hatte, den Oberbürgermeister Daley eingesetzt hatte. Als die Angebote reinkamen, ist meines deshalb besonders berücksichtigt worden. Dieser andere Kerl – der Falott – hat bestimmt ein niedrigeres abgegeben. Er hat sich ausgekannt, er hatte selbst Beziehungen, aber zu diesem Zeitpunkt war ich schon auf der Innenbahn.«
Potsie lächelt. Die grausigen Zähne erscheinen, dann verschwinden sie wieder.
»Das Angebot
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