Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
auftischt, was die Jungen als »Pampe« bezeichnen: ein undefinierbares Gericht aus Nudeln mit grau zerkochtem Fleisch. Judy macht ihnen Sachen, die sie mögen: Campbell-Suppe und Mortadella-Sandwichs. Ty hat andererseits auch genug Geld dabei, um sie alle ins McDonald’s in dem kleinen Einkaufszentrum im Norden der Stadt einzuladen, oder sie könnten in Sonny’s Cruisin’ Restaurant gehen, das ein billiger Schnellimbiss mit einem miesen Fünfzigerjahre-Ambiente ist. Und Ty lädt seine Freunde gerne mal ein. Er ist von Natur aus großzügig.
»Ich warte bis zum Mittagessen«, murmelt er, ganz ohne zu merken, dass er laut denkt. Judy stört er damit ganz sicher nicht; sie schläft tief. »Dann …«
Was dann? Das weiß er nicht recht.
Er geht nach unten, stellt die Kaffeemaschine wieder an und telefoniert mit der Firma. Er bittet Ina, Ted Goltz auszurichten, dass er heute nicht mehr kommen kann – Judy sei krank. Eine Sommergrippe, erklärt er ihr. Mit Erbrechen und allem. Er zählt ihr die Kunden auf, mit denen er heute Termine gehabt hätte, und bittet sie, Otto Eisman zu fragen, ob nicht er sie übernehmen kann. Otto wird sich eifrig auf Freds Kunden stürzen.
Während er mit Ina spricht, fällt ihm etwas ein, und nachdem das Gespräch beendet ist, ruft er doch bei den Metzgers und Rennikers an. Bei den Metzgers meldet sich ein Anrufbeantworter, und Fred legt auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ellen Renniker meldet sich jedoch nach dem zweiten Klingeln. Er bittet sie in lockerem und gut gelauntem Tonfall – das macht ihm keine Mühe, er ist ein verdammt guter Verkäufer -, Ty möge doch zu Hause anrufen, falls die Jungen
dort zum Mittagessen aufkreuzen. Fred sagt, dass er seinem Sohn etwas erzählen müsse, und lässt dabei durchblicken, dass es sich um etwas Erfreuliches handelt. Ellen sagt, dass sie’s Ty ausrichten wird, fügt aber hinzu, dass T. J. das Haus morgens mit vier, fünf Dollar verlassen hat, die ihm bestimmt ein Loch in die Jeans gebrannt haben, sodass sie ihn nicht vor dem Abendessen erwartet.
Fred geht wieder nach oben, um nach Judy zu sehen. Sie hat nicht mal einen Finger bewegt, und er nimmt an, dass das gut ist.
Nein. An dieser Sache ist überhaupt nichts gut.
Statt abzuklingen, nachdem die Situation sich nun – gewissermaßen – stabilisiert hat, scheint seine Angst stärker zu werden. Sich einzureden, Ty sei mit seinen Freunden zusammen, scheint nichts mehr zu nützen. Das sonnige, stille Haus wird ihm langsam unheimlich. Er merkt, dass er Ty nicht mehr nur um Judys willen in einwandfreier Verfassung vor sich sehen möchte. Wo können die Jungen nur stecken? Gibt’s irgendeinen Ort, an dem sie …?
Natürlich gibt’s einen. Wo sie Magic Cards bekommen können. Dieses dämliche, unverständliche Spiel, das sie mit Begeisterung spielen.
Fred Marshall geht wieder hinunter, greift sich das Telefonbuch, blättert in den Gelben Seiten und ruft dann das 7-Eleven an. Wie fast jeder in French Landing ist Fred wöchentlich vier-, fünfmal im 7-Eleven – hier eine Dose Limonade, da eine Tüte Orangensaft. Er erkennt den singenden Tonfall des Inders, der dort tagsüber bedient. Ihm fällt auch sofort der Name des Mannes ein: Rajan Patel. Es ist ein alter Verkäufertrick, so viele Namen wie irgend möglich im aktiven Speicher zu behalten. Hier macht er sich echt bezahlt. Als Fred ihn mit Mr. Patel anspricht, wird der Mann sofort sehr freundlich und äußerst hilfsbereit. Leider kann er Fred nicht recht weiterhelfen. Tagsüber kommen viele Jungen herein. Sie kaufen Magic Cards, auch Pokémon- und Baseballkarten. Manche tauschen diese Karten vor dem 7-Eleven. Er kann sich allerdings an drei erinnern, die morgens mit Rädern da waren, sagt er. Sie haben Wassereis und Magic Cards gekauft und sich
anschließend draußen über irgendwas gestritten. (Rajan Patel lässt ihre üblen Ausdrücke unerwähnt, obwohl sie der Hauptgrund dafür sind, dass er sich an diese Jungen erinnert.) Kurze Zeit später, sagt er, seien sie weggefahren.
Fred trinkt Kaffee, ohne sich auch nur daran erinnern zu können, ihn sich eingeschenkt zu haben. Neue Fäden ängstlicher Unruhe lassen in seinem Kopf hauchzarte Spinnennetze entstehen. Drei Jungen. Drei .
Das hat nichts zu bedeuten, das weißt du doch, oder?, sagt er sich. Er weiß es, aber gleichzeitig weiß er es auch nicht . Er kann nicht einmal glauben, dass Judys Ängstlichkeit ihn wie ein Erkältungsvirus ein bisschen angesteckt hat. Das ist
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