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Das Schweigen der Laemmer

Das Schweigen der Laemmer

Titel: Das Schweigen der Laemmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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und seinen Haaransatz zu einem sogenannten Witwenhorn geformt, doch er sah nicht wie eine Frau aus. Er sah wie ein Mann aus, der dazu neigt, mit seinen Nägeln wie auch mit seinen Fäusten und Füßen zu kämpfen.
    Ob sein Verhalten ein ernsthafter, unbeholfener Versuch war, als Tunte zu erscheinen, oder ein hassenswertes Sichmokieren darüber, würde bei kurzer Bekanntschaft schwer zu sagen sein, und kurze Bekanntschaften waren die einzigen, die er hatte.
    »Was wirst du für miiiich tun?«
    Beim Klang seiner Stimme kratzte der Hund an der Tür.
    Gumb zog seinen Bademantel an und ließ den Hund herein. Er hob die kleine champagnerfarbene Pudelhündin hoch und küßte ihren molligen Rücken.
    »Ja-a-a-a. Bist du am Verhungern, Precious? Ich auch.«
    Er setzte die kleine Hündin vom einen Arm auf den ändern, um die Schlafzimmertür zu öffnen. Sie strampelte, um auf den Boden zu gelangen.
    »Sekunde nur, Liebste.« Mit der freien Hand hob er einen M-I4-Karabiner vom Boden neben dem Bett auf und legte ihn über die Kissen. Also dann. Also dann. In einer Minute kriegen wir unser Abendessen.« Er setzte das Hündchen auf den Boden, während er nach seinem Nachtzeug suchte. Erwartungsvoll folgte es ihm in die Küche hinunter.
    Jame Gumb nahm drei Fertiggerichte aus seinem Mikrowel-lenherd. Es gab zwei Hungry Man-Gerichte für ihn selbst und ein Lean Cuisine-Gericht für den Pudel.
    Der Pudel fraß gierig sein Hauptgericht und das Dessert und ließ das Gemüse stehen. Jame Gumb ließ nur die Knochen auf seinen beiden Folienschalen übrig.
    Er ließ den kleinen Hund aus der Hintertür hinaus und, seinen Bademantel gegen die Kühle zusammenhaltend, sah er zu, wie dieser sich in dem dünnen Lichtstreifen von der Türöffnung hin-hockte. »Du hast noch nicht Nummer Zwei-eiei gemacht. In Ordnung ich werd' nicht zugucken.« Er spähte aber heimlich zwischen den Fingern durch. »Oh, super, du kleines Luder, bist du nicht eine perfekte Lady? Na los, gehen wir ins Bett.«
    Mr. Gumb ging gern ins Bett. Er tat dies mehrmals pro Nacht. Er stand auch gern auf und saß in dem einen oder anderen seiner vie -
    len Zimmer, ohne das Licht einzuschalten, oder arbeitete ein Weilchen in der Nacht, wenn er in einer schöpferischen Phase war.
    Er war im Begriff, das Küchenlicht auszuschalten, hielt jedoch, die Lippen umsichtig gespitzt, inne, als er eingehend den Abfall vom Abendessen betrachtete. Er las die drei Folienschalen der Fertiggerichte auf und wischte den Tisch ab.
    Ein Schalter oben an der Treppe knipste die Lichter im Keller an.
    Mit den Schalen machte Jame Gumb sich auf den Weg nach unten.
    Der kleine Hund winselte in der Küche und stieß mit der Nase die Tür hinter ihm auf.
    »In Ordnung, Dummerchen.« Er hob die Pudelhündin hoch und trug sie hinunter. Sie zappelte und beschnüffelte die Schalen in seiner anderen Hand. »Nein, nicht, du hast genug gehabt.« Er setzte sie ab, und sie folgte dicht neben ihm durch den verschach-telten, mehrgeschossigen Keller.
    In einem Kellerraum direkt unter der Küche war ein Brunnen, seit langem trocken. Sein Steinrand, mit modernen Brunnenrin-gen und Zement verstärkt, erhob sich sechzig Zentimeter über dem sandigen Boden. Die ursprüngliche hölzerne Schutzplatte, für ein Kind zum Heben zu schwer, war noch an Ort und Stelle. In dem Deckel war eine Klappe, die groß genug war, um einen Eimer hindurch nach unten zu lassen. Die Klappe war offen, und Jame Gumb schabte die Reste von seinen Folienschalen und von der des Hunds hinein.
    Die Knochen und Gemüsestückchen verschwanden im Nu in der völligen Schwärze des Brunnens. Der kleine Hund machte Männchen und bettelte.
    »Nein, nein, alles weg«, sagte Gumb. »Du bist sowieso zu dick.«
    Er stieg die Kellertreppe hoch und flüsterte seinem kleinen Hund dabei »Speckbrot, Speckbrot« zu. Er ließ sich nicht anmer- ken, ob er den Schrei, noch recht kräftig und normal, gehört hatte, der aus dem schwarzen Loch hochhallte:
    »BI1ITTE.«

21. Kapitel
    Clarice Sterling betrat das Baltimore State Hospital für geistesgestörte Straftäter kurz nach 22,00 Uhr. Sie war allein, Starling hatte gehofft, daß auch Dr. Frederick Chilton nicht da sein würde. Doch er erwartete sie bereits in seinem Büro.
    Chilton trug ein großkariertes, englisch geschnittenes Sport-sakko. Der Doppelschlitz und die Schöße verliehen dem Jackett eine Schößchenwirkung, fand Starling. Sie hoffte zu Gott, daß er sich nicht für sie so angezogen hatte.
    Der Raum war kahl

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