Das Schweigen der Laemmer
Sicherheitsnetz um ihn herum gegeben, beide Male an Barneys freien Tagen. Einmal lieh ein psychiatrischer Forscher ihm einen Kugelschreiber und vergaß ihn dann. Noch ehe der Mann den Trakt verlassen hatte, hatte Dr. Lecter das Kunststoff-röhrchen des Stifts zerkleinert und die Toilette hinuntergespült.
Die Tintenhülse aus Metall landete in der gerollten Saumkante seiner Matratze.
Die einzige scharfe Kante in seiner Zelle in der Anstalt war ein Grat auf einem Bolzenkopf, der seine Pritsche an der Wand festhielt. Das genügte. Zwei Monate lang rieb Dr. Lecter, bis er die beiden erforderlichen Einschnitte hatte, die parallel und je einen halben Zentimeter lang vom offenen Ende her an der Hülse ent-langliefen. Dann schnitt er die Tintenhülse zweieinhalb Zentimeter vom offenen Ende in zwei Teile und spülte das lange Stück mit der Spitze das Klo hinunter. Barney entgingen die Schwielen an seinen Fingern von den Nächten des Reibens.
Sechs Monate später ließ ein Pfleger eine dicke Büroklammer an einigen Dokumenten stecken, die Dr. Lecter von seinem Anwalt geschickt bekommen hatte. Zweieinhalb Zentimeter der Stahl-klammer wanderten in die Hülse und der Rest in die Toilette. Die kleine Hülse, glatt und kurz, war leicht in Kleidernähten zu verbergen, zwischen Wange und Zahnfleisch, im Rektum.
Hinter seinem Papierschirm klopfte Dr. Lecter mit der kleinen Metallhülse gegen den Daumennagel, bis der Draht im Innern herausrutschte. Der Draht war ein Werkzeug, und dies war der schwierige Teil. Dr. Lecter steckte den Draht halb in die kleine Hülse und gebrauchte ihn mit äußerster Sorgfalt als Hebel, um den Metallstreifen zwischen den beiden Einschnitten einzudrük-ken. Manchmal brechen sie. Mit seinen großen Händen bog er das Metall vorsichtig, und es klappte. Jetzt. Der winzige Metallstreifen stand in rechtem Winkel zu Hülse. Nun hatte er einen Handschellenschlüssel.
Dr. Lecter legte die Hände auf den Rücken und ließ den Schlüssel fünfzehnmal zwischen ihnen hin- und hergehen. Er steckte sich den Schlüssel wieder in den Mund, wusch sich die Hände und trocknete sie peinlich genau ab. Mit der Zunge verbarg er den Schlüssel dann zwischen den Fingern der rechten Hand; er wußte, Pembry würde seine merkwürdige linke Hand anstarren, wenn sie hinter seinem Rücken war.
»Ich bin soweit, wenn Sie es sind, Officer Pembry«, sagte Dr.
Lecter. Er setzte sich auf den Boden der Zelle und streckte die Arme hinter sich aus; Hände und Handgelenke reichten durch die Gitterstäbe. »Danke, daß Sie gewartet haben.« Es schien eine lange Rede, doch sie wurde von der Musik aufgelockert.
Er hörte Pembry nun hinter sich. Pembry tastete sein Handgelenk ab, um zu sehen, ob er es eingeseift hatte. Pembry legte die Handschellen fest an. Er ging zum Schreibtisch zurück, um den Schlüssel zur Zelle zu holen. Über das Klavier hörte Dr. Lecter das Klirren des Schlüsselrings, als Pembry ihn aus der Schreibtisch-schublade holte. Nun kam er zurück, lief durch die Noten, teilte die Luft, in der Kristallnoten herumschwärmten. Diesmal kam Boyle mit ihm zurück. Dr. Lecter konnte die Löcher hören, die sie in den Echos der Musik machten.
Pembry überprüfte erneut die Handschellen. Dr. Lecter konnte Pembrys Atem hinter sich riechen. Jetzt schloß Pembry die Zelle auf und stieß die Tür auf. Boyle kam herein. Dr. Lecter drehte den Kopf, und die Zelle bewegte sich in seinem Blickfeld in einem Tempo, das ihm langsam vorkam. Die Einzelheiten traten wunderbar scharf hervor - Boyle am Tisch, der mit verärgertem Brum-men über die Unordnung die zerstreuten Utensilien auf das Tablett zurückstellte. Der Kassettenrecorder mit seinen sich drehenden Spulen, die Serviette auf dem Boden neben dem festgeschraubten Tischbein. Durch die Gitterstäbe sah Dr. Lecter aus dem Augenwinkel Pembrys Kniekehle und die Spitze des von seinem Gürtel hängenden Schlagstocks, als er vor der Zelle stand und die Tür hielt.
Dr. Lecter fand das Schlüsselloch in seiner linken Handschelle, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn. Er spürte, wie die Schelle um das Gelenk aufsprang. Er schob den Schlüssel in die linke Hand, fand das Schlüsselloch, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn.
Boyle bückte sich nach der Serviette auf dem Boden. So schnell wie eine zuschnappende Schildkröte schloß die Handschelle sich um Boyles Handgelenk, und als er mit rollendem Auge zu Lecter hinsah, schloß sich die andere Schelle um das festgeschraubte
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