Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Posten zu erhalten, wenn sie die vierzig überschritten hatten.
Ruth Brandon, Governess, The Lives and Times of the Real Jane Eyres
Das Haus war ihm während der Abwesenheit seines Vaters und Miss Keenes leer vorgekommen, und er hatte die quälende Befürchtung gehabt, Miss Keene würde nicht nach Brightwell Court zurückkehren. Er war erleichtert, sich darin geirrt zu haben.
Sein Vater vertraute ihm das Wenige an, was er bei dieser Reise erfahren hatte, doch Miss Keene schien sich in Schweigen zu hüllen.
Drei Tage nach der Reise wurde Edward von Judith aufgeschreckt, die in sein Studierzimmer stürmte und ihn am Arm fasste. »Edward, sei so lieb und komm mit. Meine Mutter und meine Schwiegermutter sind da – alle beide! Ich brauche moralische Unterstützung. Eine Ablenkung. Verstärkung. Irgend so etwas.«
Er lachte leise und stand auf. »Ich werde sie natürlich begrüßen, aber erwarte bitte nicht von mir, dass ich stundenlang dabei sitze, wenn ihr tratscht und euch über die neuste Mode und was weiß ich noch alles austauscht.«
Er folgte ihr, als sie in die Halle hinaushastete. Sie beeilte sich, die Damen zu begrüßen, noch bevor Hodges sie ins Empfangszimmer führen konnte.
»Mama! Mutter Howe! Was für eine Überraschung! Ich habe euch nicht erwartet. Auf jeden Fall nicht gleichzeitig. Wenn ich …« Judith hielt inne und hatte beim Anblick einer dritten Frau hinter den anderen beiden offenbar die Sprache verloren.
Judiths Schwiegermutter folgte ihrem Blick und erklärte: »Deine Mutter war so freundlich, mir dabei zu helfen, deine frühere Gouvernante ausfindig zu machen.«
Judith nickte der unauffälligen dünnen Frau Ende vierzig steif zu. »Miss Ripley«, murmelte sie und wandte sich dann schnell wieder ihrer Mutter zu. »Aber hast du meinen Brief denn nicht erhalten, Mama? Ich habe eine neue Gouvernante angestellt, genau wie du es vorgeschlagen hast. Es war nicht nötig, Miss Ripley hierher zu bringen.«
»Nun, wir sind jetzt jedenfalls alle hier«, antwortete Judiths Mutter. »Werden wir hereingebeten oder sollen wir in der Halle stehen bleiben?«
»Natürlich, kommt doch bitte ins Empfangszimmer. Ich werde Tee bringen lassen.«
Während Osborn und Hodges den Damen die Umhänge abnahmen, stand Edward unbehaglich daneben und wartete auf eine Gelegenheit, den Besuch zu begrüßen. Judith schien sich plötzlich an seine Anwesenheit zu erinnern, die einen Moment zuvor so unabdingbar für sie gewesen war. »Sie erinnern sich an Lord Bradley, unseren Cousin?«
»In der Tat«, antwortete Judiths Schwiegermutter. »Er war ein enger Freund meines armen Dominick, Gott hab ihn selig. Wie geht es Ihnen, lieber Junge?«
Edward drückte der Frau die Hand. »Mir geht es gut, Mrs Howe. Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Ich hoffe, es geht Ihnen auch gut?«
»Ich habe die Gicht in einem Bein. Aber sonst geht es ganz gut.«
»Und Tante Bradley, was für eine Freude.« Er küsste die gepuderte Wange seiner Tante.
»Meiner Treu«, sagte Judiths Mutter. »Du siehst deinem Vater immer ähnlicher.«
»Tatsächlich?« Edward zögerte. »Ich … danke dir. Ihr seid hier herzlich willkommen, meine Damen. Ich hoffe, ihr habt einen angenehmen Aufenthalt.«
»Willst du nicht mit uns Tee trinken?«, fragte Judith mit angestrengtem Lächeln.
»Danke, nein. Ich muss mich von euch verabschieden.«
Er verbeugte sich vor den Damen und ignorierte Judiths entsetzte Miene. Er ließ sich nicht mit dieser Schar Frauen in einen Raum locken. Um keinen Preis der Welt.
Schwer atmend gab Osborn Olivia zu verstehen, dass sie sofort ins Empfangszimmer herunterkommen sollte, wo Mrs Howe und ihre Gäste sie zu sprechen wünschten.
Als Olivia den Raum wenige Minuten später betrat, erfasste sie die Szene vor sich mit wenigen Blicken. Judith Howe stand mit nervös zuckenden Händen neben dem Kamin. Zwei matronenhafte Damen Ende fünfzig saßen in vollkommen aufrechter Haltung auf der Couch. Eine schlecht gekleidete Frau, dünn wie eine Bohnenstange und ungefähr zehn Jahre jünger als die anderen beiden, hatte auf einem Stuhl in der Ecke Platz genommen.
Olivia durchquerte das Zimmer und Judith musterte sie anerkennend. Olivia war froh, dass sie sich die Zeit genommen hatte, um ihr Haar neu hochzustecken und ihre Röcke glattzustreichen.
»Mutter, Mutter Howe, darf ich euch Miss Olivia Keene vorstellen, unsere neue Gouvernante?«
Mrs Howe, die ältere der beiden fülligen Damen, kniff die Augen zusammen. »Dieses
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