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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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und her und heulte auf eine Weise, die meine eigene Trauer widerspiegelte.
    Croome sah mich und winkte mich weg. Er bellte, ich solle ihn in Ruhe lassen. Ich wollte nichts lieber tun. Aber dann fingst du an zu schreien. Dort aus dem kleinen Korb, in den er dich gelegt hatte. Ich brachte es nicht über mich, Croome, der vor Schmerz außer sich war, anzusehen, also schaute ich dich an. Du hattest einen kahlen, unförmigen Kopf und ein rotes Gesicht. Ich dachte, ich hätte noch nie etwas gesehen, was, hm, so mitleiderweckend und unwiderstehlich zugleich war.« Lord Brightwell lachte in sich hinein.
    »Er hat seine Tochter dort begraben, im Wald?«, fragte Edward in ungläubigem Ton.
    »Er sagte, er könne es nicht ertragen, dass seine Alice ihm weggenommen würde. Er wollte sie in seiner Nähe haben. Ich fürchtete, er sei halb wahnsinnig, und vermutlich war das zum Teil auch ein Grund, warum ich dich immer vor ihm warnte.«
    Edward nickte. Er erinnerte sich an die schützenden Gesten, die geflüsterten Warnungen. Aber waren sie gerechtfertigt gewesen? Wäre nicht jeder Vater so außer sich, zumindest zeitweilig?
    Lord Brightwell setzte seinen Bericht fort. »Ich wollte nichts lieber, als dieses provisorische Grab verlassen, diese Szene des fürchterlichsten Albtraums, den ein Vater durchmachen kann. Aber dann wurde mir bewusst, dass ich diesen Ort nicht allein verlassen wollte. Ich fragte ihn, ob eine Hebamme gerufen worden sei, ob irgendein Mensch davon wüsste. Er sagte, nur Mrs Moore.«
    »Unsere Köchin? Warum um alles in der Welt?«
    »Croomes Schwägerin, soweit ich weiß. Die Tante der jungen Alice. Ich frage mich, ob er ihr die Schuld gab.«
    »Ihr die Schuld gab? Warum sollte er?«
    »Soweit ich verstanden habe, entband sie das Kind am Tag davor, als weder Hebamme noch Arzt gefunden werden konnten. Und als die Geburt schief ging …« Er hob vielsagend eine Hand.
    Edward nickte, die furchtbare Szene in Gedanken vor Augen.
    Sein Vater erhob sich, stellte sich neben die Laube und hielt sein Gesicht der Sonne entgegen. »Ich bin nicht sicher, wie hastig ich darauf bestand, dass Croome niemandem vom Tod seiner Tochter erzählen sollte. Ich nehme an, ich dachte, wenn die Leute wüssten, dass sie gestorben war, würden sie auch fragen, wie das passiert war. Und wenn sie wüssten, dass sie im Kindbett gestorben war, würden sie wissen wollen, was aus dem Kind geworden war.«
    Der Earl fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Es war falsch von mir, ihm das Recht zu nehmen, offen zu trauern. Ich dachte damals nur an meine Familie. An mich. Ich verstand die Situation nicht. Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Menschen so geliebt hatte, wie er seine Alice. Aber all das veränderte sich im Lauf von Tagen, sogar Stunden, sobald ich dich im Arm hatte.«
    »Stimmte er zu, mich dir zu geben?« Edward gelang es kaum, die Schärfe aus seinem Tonfall herauszuhalten. »Oder hast du ihn bezahlt?«
    »Ich gebe zu, ich fragte ihn, ob er einen finanziellen Ausgleich wolle. Ich dachte, er würde mich an Ort und Stelle niederschlagen. Er machte deutlich, dass er das Kind nicht verkaufe, sondern es mir nur gebe, weil er nicht in der Lage sei, es selbst aufzuziehen. Er drohte mir Gewalt an, falls ich jemals wieder Geld erwähnen würde.« Der Earl schüttelte sich. »Ich hielt mich daran.« Bei der Erinnerung wiegte er seinen Kopf hin und her. »Ich fragte ihn aber, ob Mrs Moore auch so denken würde. Wie finster er mich anstarrte! Er sagte: ›Überlassen Sie mir die Frau. Sie wird kein Wort sagen, niemals.‹ Und soweit ich weiß, hat sie es auch nie getan.«
    In Edwards Kopf drehte sich alles. Wusste Mrs Moore, was aus dem Baby geworden war, das sie entbunden hatte? Wie seltsam, dass die Köchin der Familie und auf jeden Fall ihr Wildhüter und sein eigenes Kindermädchen die Wahrheit über ihn all die Jahre gekannt hatten, während er keine Ahnung gehabt hatte. Hatte Mrs Moore die Briefe geschrieben? Er konnte es nicht glauben. Warum jetzt, nach so vielen Jahren?
    »Und … Mutter«, fragte Edward. »Was hielt sie von alledem?«
    »Sie zögerte erst ein wenig. Wir hätten so einen Kurs erst in vielen Jahren, wenn überhaupt jemals eingeschlagen, wäre uns die Gelegenheit – in diesem Fall du – nicht in den Schoß gefallen. Vorsehung nenne ich es. Im ersten Jahr unserer Ehe gab es wenig Wärme zwischen mir und Marian, aber deinetwegen verliebten wir uns, mein Junge. Und sie hat dich geliebt, Edward, daran darfst du niemals

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