Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
zweifeln. Obwohl ich zugeben muss, dass ihr dein Name nie gefiel.«
Edward zog fragend die Brauen in die Höhe.
»Es war Croomes letztes Wort zu diesem Thema. Er sagte mir in seinem ruppigen Tonfall: ›Sein Name ist Edward. Sie hat ihn so genannt. Es ist der Name meines Vaters und auch mein zweiter Name. Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn ändern.‹« Lord Brightwell lachte leise. »Ich wagte es nicht.«
Edward schüttelte den Kopf und fand die Situation ganz und gar nicht zum Lachen. Edward …
Wie ironisch. Wie seltsam. Er war nach dem Wildhüter seines Vaters benannt worden, einem Mann, dem er sein ganzes Leben lang aus dem Weg gegangen war.
Als Edward in die Küche kam, schaute ihn Mrs Moore mit offenem Mund und großen Augen an. Er kam fast nie ins Untergeschoss, außer zum Singen der Weihnachtslieder und bei ähnlichen Anlässen. Sämtliche Anweisungen an die Köchin wurden durch die Haushälterin oder den Butler übermittelt.
Zwei junge Küchenmädchen starrten zu ihm hoch, die eine errötete zutiefst, die andere wagte einen frechen Blick.
Edward fragte: »Mrs Moore, kann ich ein persönliches Wort mit Ihnen wechseln?«
Die Frau schluckte. Offensichtlich erwartete sie Neuigkeiten übelster Art. »Natürlich, Mylord.«
Sie führte ihn zur Vorratskammer neben der Küche, wo Regale vom Boden bis zur Decke reichten, angefüllt mit weißblauem Porzellan, süßsauer eingemachtem Gemüse und rubinroten Konfitüren. Das säuerliche, würzige Aroma von Stachelbeeressig lag in der Luft.
Sobald sie den Raum betreten hatten, schloss er die Tür hinter ihnen und erschreckte sie damit noch mehr.
»Ich habe mit Mr Croome gesprochen …«, fing er an.
»Oh weh«, unterbrach sie ihn. »Was hat der alte Narr jetzt wieder angestellt?«
»Nichts, was Ihnen Sorgen machen müsste, das versichere ich Ihnen. Ich habe ihn nach seiner Tochter Alice gefragt.«
Offensichtlich beunruhigt, runzelte sie die Stirn. »Tatsächlich? Es überrascht mich, dass Sie überhaupt von ihr wissen. Sie hat … uns verlassen … bevor Sie geboren waren.«
»Hat sie das?«
Mrs Moore blinzelte nachdenklich mit den Augen. »Ein oder zwei Tage davor, glaube ich. Es ist so lange her.«
Er nickte. »Sie haben sie von einem Kind entbunden, wie ich gehört habe.« Er fügte sanft hinzu. »Es ist in Ordnung, Mrs Moore. Ich weiß, dass sie gestorben ist.«
Sie verzog den Mund und ihre runden Wangen erbleichten. »Hat Avery Ihnen das gesagt?« Sie wirkte sehr betroffen. »Ich weiß, dass er mir nie vergeben hat … aber es Ihnen zu erzählen? Nach all den Jahren? Obwohl ich ihm Verschwiegenheit schwören musste?«
»Ich glaube nicht, dass er Ihnen die Schuld gibt. Damals vielleicht, in seiner Trauer …«
Sie schüttelte den Kopf. »Er wollte sie nach Norden zu seiner Familie schicken, damit sie das Kind dort zur Welt bringen konnte, aber er tat es nicht. Er konnte es nicht ertragen, sich von ihr zu trennen. Als ihre Zeit kam, bat er mich, bei Alice zu bleiben, während er loszog, um den Arzt oder die Hebamme zu holen. Ich sollte nur bei ihr sitzen. Aber er kam stundenlang nicht zurück, und als er schließlich doch wieder auftauchte, war er allein. Er hatte niemand für die Entbindung finden können. Soweit ich weiß, hatte Ihr Vater das gleiche Problem, als kurz darauf die Zeit Ihrer Mutter kam.«
Edward nickte. »Miss Peale betreute meine Mutter.«
Sie blinzelte wieder. »Ja, ich erinnere mich, dass ich davon hörte.« Mrs Moore verzog das Gesicht. »Ich gab mein Bestes für Allie, aber ich wusste so wenig. Ich hatte nie ein eigenes Kind gehabt. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Meine eigene liebe Nichte, die Tochter meiner Schwester, und ich konnte sie nicht retten.« Sie schüttelte den Kopf und es war offensichtlich, dass diese traurigen Bilder wieder in ihr aufstiegen. Tränen sammelte sich in ihren kleinen braunen Augen und rollten über ihre runden Wangen. »Avery hat mir nie verziehen. Er schickte mich kurz danach ins Haus zurück, als könne er meinen Anblick nicht ertragen.«
Mrs Moore wischte sich die Tränen mit ihrem molligen Handrücken ab. »Und das Kind … ein kleiner Junge. Er erzählte mir nie, was aus ihm geworden war. Ich vermute, er brachte ihn zu seinen Verwandten in den Norden oder fand eine Familie, die das Kind aufnahm. Ich war überrascht, dass es ihm gelang, sich von dem Jungen zu trennen. Er war doch alles, was er von Alice noch hatte. Aber er war damals nicht in der Verfassung, Wölfe
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