Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
wo ich anfangen soll. Aber zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass es mir furchtbar leid tut, wie ich Sie behandelt habe. Ich bedaure meine törichten Anschuldigungen und mein Verhalten, das für Sie wie eine Ablehnung gewirkt haben muss, als ich den Plänen meines Vaters widersprach, Sie als seine Tochter oder zumindest als sein Mündel anzuerkennen. Bitte glauben Sie mir, dass ich nichts als größte Hochachtung und Bewunderung für Sie hege. Obwohl die Motive, die mich antrieben, vielleicht unzureichend scheinen, hatte ich einen sehr guten, wenn auch selbstsüchtigen Grund, warum ich nicht wollte, dass die Welt Sie für meine Schwester hielt. Ich möchte an dieser Stelle nichts mehr dazu sagen, außer der Bitte, mir zu vergeben, wenn Sie können.
Ich sehne mich danach, gerade mit Ihnen über die Tatsachen zu sprechen, die ich seit Ihrer Abreise erfahren habe. Aber ich wage es nicht, das in einem Brief zu tun, falls er in falsche Hände gelangen könnte. Deshalb drücke ich mich nur undeutlich aus, was Sie, kluges Mädchen, verstehen werden.
Ich habe noch nicht alles erfahren, was ich gern wissen möchte, aber in letzter Zeit ist sehr viel ans Licht gekommen. Ich hoffe, ich werde Ihnen eines Tages alles persönlich erzählen können. In der Zwischenzeit bete ich dafür, dass sich bei Ihnen alles gut entwickelt.
Noch einmal möchte ich mich aus tiefstem Herzen entschuldigen. Und ich füge nur noch hinzu: Gott segne Sie.
Edward S. Bradley
Ihr Herz zog sich zusammen, als ihr die Fragen durch den Kopf zu wirbeln begannen. Sie las die Unterschrift noch einmal und bemerkte, dass sein Titel fehlte. Was hatte er erfahren? Was hatte das zu bedeuten?
Johnny Ross stand vor seinem Schreibtisch, den Hut in der Hand. Neben ihm stand das Dienstmädchen, von dem Mrs Hinkley Edward berichtet hatte. Man konnte ihre Schwangerschaft jetzt deutlich erkennen. Hodges und Mrs Hinkley warteten im hinteren Teil des Raums auf sein Urteil. Lord Brightwell stand hinter Edward, immer noch zufrieden, ihm solche Entscheidungen zu überlassen.
»Ich weiß, dass wir nicht heiraten dürfen, während wir in Stellung sind, Mylord«, sagte Ross. »Aber Martha ist in guter Hoffnung, also … haben wir es getan.«
»Bist du der Vater?«, fragte Edward und bereute es sofort. Er hatte einen anderen Mann für verantwortlich gehalten, aber das ging ihn nichts an, und er hatte nicht die Absicht gehabt, die junge Frau zu beschämen. Dies war ihm jedoch offensichtlich gelungen, denn sie senkte den Kopf und die Röte stieg ihr am Hals hoch. Selbst das Gesicht von Ross brannte rot.
Hinter Edward räusperte sich Lord Brightwell. Edward öffnete den Mund, um die Frage zurückzuziehen, aber Ross kam ihm mit seiner Antwort zuvor.
»Nein, Mylord. Aber ich liebe sie trotzdem.«
Edward bemerkte, wie die junge Frau verstohlen nach der Hand des Stallknechts griff.
Ross fuhr fort: »Mrs Hinkley sagte, ich solle entlassen werden, es sei denn, Sie entscheiden anders. Ich habe mich gefragt, Mylord, ob Sie es vielleicht möglich machen könnten, mir ein Leumundszeugnis zu geben. Ansonsten wird es schwer werden, eine andere Anstellung zu finden.«
Edward starrte den Stallknecht an, überrascht über seine unerwartete Ehrbarkeit. »Nein.«
Ross schaute zu Boden.
»Nein, du wirst nicht entlassen«, stellte Edward klar und wandte sich an den Earl. »Es sei denn, du siehst das anders, Vater?«
Lord Brightwell zögerte. »Äh … nein, Edward. Tu, was du für richtig hältst.«
Ross strahlte. »Danke, Mylord, vielen Dank!«
Selbst Martha lächelte ihn schüchtern an und unwillkürlich musste Edward an Alice Croome denken. Er fragte sich, wie sie wohl ausgesehen hatte, als sie mit ihm schwanger war.
Sobald die Einzelheiten und die zukünftige Unterbringung geklärt waren, verließ das Personal den Raum.
Edward schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich mit eiserner Entschlossenheit an Lord Brightwell. »Wer war mein Vater?«, fragte er ruhig.
Der Earl begann: »Das Mädchen hat es nie jemandem gesagt, deshalb –«
»Wer war er?« Edward blieb hartnäckig.
Einen Augenblick lang wirkte Lord Brightwell kämpferisch, als wolle er eine andere Ausrede vorbringen, doch dann seufzte er. »Ich nahm an, du hättest inzwischen selbst einen Verdacht.«
Edward runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Habe ich nicht immer darauf beharrt, dass du ein Bradley bist?«
Edward blinzelte und ein eiskalter Schauder ging über ihn hinweg. »Sebastian – Onkel
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