Das Schweigen der Toten
bemerkt hatte, als es zu spät war. Womöglich hatte er ihn gar nicht gesehen. Vielleicht war der Mörder von hinten an ihn herangepirscht.
Kat schaute sich um und stellte fest, dass es zahlreiche mögliche Verstecke gab, zum Beispiel gleich hinter dem Scheunentor oder im Schatten des Treckers. Neben der schlafenden Katze befand sich eine kleine Nische in der Wand, nicht größer als ein Besenschrank. Auch darin hätte sich der Mörder versteckt halten können. Während er auf sein Opfer wartete, hätte er genug Zeit gehabt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Kat durchquerte die Scheune und warf einen Blick in die Nische: ein Verschlag aus Bretterwänden mit glattem Estrichbelag. Die Kollegen von der Kriminaltechnik würden sich auch diese Stelle gründlich vornehmen müssen. Vielleicht fanden sie etwas. Einen Schuhabdruck. Eine Textilfaser. Womöglich ein Haar. Jeder noch so kleine Hinweis würde helfen, denn bislang hatten sie nichts als eine Leiche, zwei Pennys und eine Holzkiste.
Kat musterte die Katze, die zwei Schritte neben ihr auf dem Boden lag und sich immer noch nicht gerührt hatte. Kein einziges Mal. Sie wartete darauf, dass ein Ohr zuckte oder der Schwanz wippte, sah aber nichts dergleichen.
Sie berührte das Tier mit der Stiefelspitze. Es reagierte nicht.
Die Katze war tot.
Kat ging in die Hocke und sah Sägemehl im Fell der Hinterläufe. Als sie den Kadaver zur Seite wälzte, bemerkte sie einen Schlitz in der Bauchdecke. Aus der Wunde rieselte noch mehr Sägemehl.
Die Katze war aufgeschnitten, ausgeweidet und mit Sägemehl ausgestopft worden. Unter dem struppigen Fell zeigte sich entlang des Einschnitts eine Zickzacknaht.
Kat wich unwillkürlich zurück. Entsetzt starrte sie auf das tote Tier. Sie wusste nicht, was das für den Fall bedeutete. Es war ein weiteres Rätsel, das sie nicht zu lösen wusste.
Tony Vasquez kam als Erster aus Nick Donnellys Team an der Scheune an, begleitet von mehreren Beamten der Landespolizei. Er spannte ein Absperrband vor das offene Scheunentor, ließ zwei Kollegen auf der anderen Seite Posten beziehen und machte sich mit den anderen an die Arbeit.
Um ihnen nicht im Weg zu stehen und weil sie keine Spuren verwischen wollte, zog sich Kat in einen Scheunenwinkel zurück und nahm auf einem Strohballen Platz. Von ihrem kratzigen Sitz aus sah sie Rudy Taylor kommen, ausgerüstet mit so vielen Beweismitteltüten, dass jeder Strohhalm, auf dem sie saß, darin hätte sichergestellt werden können.
Nick Donnelly und Cassie Lieberfarb trafen fünf Minuten später ein. Während sich Cassie zu den Kollegen gesellte, steuerte Nick geradewegs auf den Strohballen zu.
«Ich muss mit Ihnen reden», sagte er.
«Gut», antwortete Kat. «Ich muss auch mit Ihnen reden.»
Nick setzte sich neben sie. «Sie zuerst.»
Sie holte tief Luft und berichtete von der Anzeige, die der
Gazette
-Redaktion schon vor George Winnicks Tod zugestellt worden war. Dann erzählte sie, was Alma Winnick erzählt hatte: dass George in der Scheune nachgesehen hatte, um der Unruhe seiner Tiere auf den Grund zu gehen. Und schließlich wies sie Nick auf die mit Sägemehl ausgestopfte Katze hin.
«Das passt zu meiner Theorie», sagte er.
«Inwiefern?»
«Ich bezweifle, dass wir es mit dem Betsy-Ross-Killer zu tun haben.»
Kat hätte lieber etwas anderes gehört. So seltsam es scheinen mochte, sie hatte tatsächlich gehofft, dass sich der Verdacht gegen eben diesen Serienmörder erhärten würde. Nach dem Teufel zu fahnden, den man kannte, war leichter, als einem Phantom nachzujagen. Und wer immer George Winnick getötet hatte, war ein kranker Teufel.
«Alles was Sie sagen – das Fax, die tote Katze –, deutet auf einen anderen Täter hin», führte Nick aus. «Serienmörder weichen nie so weit von ihrer gewohnten Vorgehensweise ab. Und Georges Wunden unterscheiden sich sehr deutlich von denen der Betsy-Ross-Opfer.»
«Wie ist er gestorben?»
«Er ist verblutet.»
«Durch den Einschnitt am Hals? Der ist doch nur ein paar Zentimeter lang.»
«Exakt acht Komma eins-zwei Zentimeter», präzisierte Nick. «Wallace Noble hat nachgemessen. Und es war nicht nur der Einschnitt, der George hat verbluten lassen.»
«Was soll das heißen?»
Nick beugte sich vor. «Schon mal was von der Karotis gehört?»
«Sie meinen die Halsschlagader, an der man den Puls fühlen kann? Und?»
«Die auf der rechten Seite wurde bei George aufgeschlitzt», erklärte Nick. «Nicht gerade leicht, so etwas zu
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