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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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er.
    Deana musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, besonders intensiv die Brust, den Bauch und seinen Schritt, wie es schien. Ihr unverfrorener Blick erregte ihn, so auch der laszive Unterton ihrer Stimme, als sie sagte: «Das sehe ich.»
    «Ich bin zufällig vorbeigekommen und wollte einfach nur hallo sagen. Sie sagten ja, ich sollte mich mal blicken lassen.»
    «Ja, nett von Ihnen», erwiderte sie. «Danke, dass Sie gekommen sind.»
    Henry stellte fest, dass er sich in Gegenwart von Deana befangener fühlte als bei Chief Campbell. Ihr gegenüber war er als guter, hilfreicher Bürger aufgetreten. Aber dieser Austausch hier schien ihm von ganz anderer Art zu sein. So was wie ein Flirt, schätzte er.
    «Übrigens», sagte Deana mit geduldigem Lächeln, «mein Angebot liegt immer noch auf dem Tisch.»
    «Welches Angebot?»
    «Dass wir mal zusammen Mittag essen. Könnte doch nett sein. Immerhin sind wir gewissermaßen Kollegen.»
    Gewissermaßen. Henry unterhielt sich mit ihr mehr als mit jedem Kollegen aus der
Gazette
-Redaktion. Und sie war immer recht freundlich und ohne Hintergedanken, abgesehen davon, dass sie ihn gern besser kennenlernen würde. Ja, dachte er, es wäre schön, mal aus der sicheren Routine auszubrechen.
    «Es gibt da diesen neuen Sushi-Laden in der Main Street», sagte sie. «Den könnten wir doch mal ausprobieren. Was meinen Sie?»
    Henry wollte schon zustimmen und spürte, wie sich die Muskeln im Nacken entspannten, um mit dem Kopf zu nicken. Doch plötzlich traf sein Blick auf einen großen Spiegel mit Goldrahmen, der an der Wand hing.
    Er starrte auf sein Abbild und kam sich lächerlich vor. Er war bestens in Form, ja, aber sein Gesicht war inakzeptabel. Und je wohlwollender Deana lächelte, desto zweifelhafter erschienen ihm ihre Motive. Sie war nicht wirklich interessiert an seiner Person. Vielleicht faszinierte sie sein Gesicht mit den Narben und Verunstaltungen, so wie der Besucher eines Panoptikums fasziniert war.
    «Lieber nicht», antwortete Henry und löste seinen Blick vom Spiegel. «Aber danke für die Einladung.»
    Er bedauerte es, das Haus betreten zu haben. Keine gute Idee, dachte er, drehte sich um und eilte zur Tür.
    Als er sie öffnen wollte, flog sie ihm entgegen. Er sprang zurück und sah Chief Campbell hereinplatzen. Ihr folgten ein Schwall eisiger Luft und ein Mann, den Henry noch nie gesehen hatte. Obwohl er Zivil trug, schien er zur Polizei zu gehören, denn er hatte eine ähnlich verkniffene Miene wie seine Kollegin und eilte an ihm vorbei, ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen.
    Henry verabschiedete sich wortlos mit einem Kopfnicken und ging. Als er die Veranda überquerte, hörte er Kat fragen: «Sind Arthur oder Bob da?»
    «Arthur, ja», sagte Deana. «Warum? Was ist passiert?»
    Henry blieb auf den Stufen stehen und wartete auf Kats Antwort. Als er sie hörte, war er überrascht, neugierig und mehr als ein bisschen erschrocken.
    «Ich muss wissen, wie Tote einbalsamiert werden.»

Zehn
    Für Kat gab es nur wenige Orte auf der Welt, die deprimierender waren als die Räume von McNeils Bestattungsinstitut. Arthur McNeil, der Eigentümer, hatte zwar alles darangesetzt, sie so angenehm wie möglich zu gestalten – beigefarbene Wände, gediegenes Mobiliar, frische Schnittblumen auf einem Beistelltisch neben der Eingangstür –, doch die sterile Perfektion bewirkte bei Kat stets das Gegenteil. Das Dekor kam ihr vor wie die tote Kundschaft der Firma: hergerichtet und leblos.
    Ihre Abneigung ging zurück auf die schrecklichen Stunden, die sie hier nach dem Tod ihres Vaters und dann ihrer Mutter zugebracht hatte. Sie vermied es, Platz zu nehmen, und blieb mit Nick in der Tür stehen. Von dort konnte sie in den leeren Raum sehen, in dem vor acht Monaten ihre Mutter aufgebahrt gelegen hatte. Erinnerungen an diese Zeit gingen ihr durch den Kopf. Sie sah James weinen und sich selbst neben dem offenen Sarg stehen, verzweifelt um Fassung bemüht. Die Bilder waren so schmerzlich, dass Kat erleichtert seufzte, als Arthur McNeil schließlich auf sie zutrat.
    «Tut mir leid, dass Sie warten mussten», entschuldigte er sich und ergriff ihre Hände. «Deana sagt, es sei wichtig.»
    Er trug einen hellblauen Kittel und eine Papierhaube auf dem Kopf. Unter dem Kinn hing eine Atemschutzmaske. Sogar in dieser Aufmachung strahlte er jene einfühlsame Ruhe aus, die ihm sein Geschäft abverlangte.
    Als Kat ihm Nick Donnelly vorstellte, zeigte Arthur das Lächeln eines Lieblingsonkels.
    «Ich

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