Das Schweigen der Tukane
wahres Leben» enthielt. Nadine las zehn Seiten, dann legte sie die Biografie kopfschüttelnd zur Seite. Grässlich, eine einzige Lobhudelei auf sich selbst. Grauwiler muss ein schöner Narziss gewesen sein! Bei allem Respekt, das wäre kein Bestseller geworden. Man sah dem Büro an, dass es nur noch selten benutzt wurde. Auf den Ordnern hatte sich eine leichte Staubschicht gebildet. Einzig der antike Schreibtisch schien ab und zu verwendet worden zu sein.
«Fündig geworden?»
«Nur eine Kundenkartei. Dürfen wir sie mitnehmen?»
«Selbstverständlich. Ich frage mich, was Peter gesucht hat. Es muss etwas Wichtiges gewesen sein, sonst wäre der Siebenschläfer nicht so früh ins Büro gekommen. Wir telefonierten jeden Tag zwei oder drei Mal miteinander, aber im Büro war er, wie gesagt, länger nicht mehr.»
«Falls Ihnen dazu doch noch etwas einfällt, hier ist meine Karte.»
«Danke, Herr Ferrari. Hier wäre noch die Handynummer von Frau Steiner. Vielleicht hat sie etwas für Peter erledigt, von dem ich nichts weiss. Sie ist in Italien und gut erreichbar … Womit müssen Hanspeter und ich rechnen?»
«Das kann ich Ihnen im Moment noch nicht sagen. Vortäuschung falscher Tatsachen, Behinderung der Ermittlungen, Vernichtung von Beweismitteln … Kennen Sie Jakob Borer, den Staatsanwalt?»
«Nein, aber Joseph Zwingli, den Ersten Staatsanwalt. Mir ist die Sache äusserst peinlich. Würden Sie bitte Herrn Borer ausrichten, dass ich ihn kontaktieren werde. Ich hoffe, die Angelegenheit lässt sich ohne grosses Tamtam bereinigen.»
«Trinken wir im ‹Schiesser› einen Kaffee?»
«Muss das sein?»
«Kein Kaffee?»
«Doch, gern. Nur nicht immer dort. Ich verstehe nicht, dass es dir in diesem Altersheim gefällt.»
«Die Atmosphäre ist schön, ein Hauch vergangener Zeiten. Hier treffen sich Politiker und einfache Bürger, die Mischung stimmt. Zudem sind die Croissants exzellent und erst …»
«Okay, du hast mich überzeugt! Nur verschone mich bitte mit einem Exkurs in die süsse Handwerkskunst oder gar einem historischen Abriss, Opa!»
Vom Fensterplatz konnten sie das bunte Treiben auf dem Marktplatz beobachten. Gemüse, Früchte, Blumen, Käse, Fleischwaren, Pilze, Honig, Trockenprodukte, Wein, Kaffee und vieles mehr wurde hier von Montag bis Samstag feilgeboten. Als es wieder zu regnen begann, leerte sich der Platz innert Kürze.
«Grauwiler war ein Mensch ohne Feinde! Zumindest fast. Einer, der gut ankam, ein Schönredner ohne Rückgrad. Solche Menschen mag ich gar nicht. Mir ist lieber, wenn jemand Ecken und Kanten hat. So wie du, Francesco. Allerdings bist du eher rundlich, was deine Kurven angeht.»
«He, he! Jetzt wirds persönlich und irgendwie sexistisch. Bis zum Sommer bin ich rank und schlank. Ein bisschen Velo fahren bringt mich wieder in Form und zwischendurch ein Fitnessteller … Mmh, mein Magen knurrt … Wo waren wir stehen geblieben?»
«Bei Peter Grauwiler, dem fröhlichen Zeitgenossen. Man könnte auch sagen, dem Luftheuler. Irgendwie kommen wir nicht voran. Weder das Gespräch mit Remo Kuster noch die Durchsuchung des Büros hat viel gebracht.»
«Vielleicht liess Kuster die wichtigen Akten rechtzeitig verschwinden.»
«Vergiss es, Francesco. Im Büro miefte es gewaltig. Die Akten sahen aus, als ob sie schon Monate unberührt liegen würden.»
«Immerhin wissen wir jetzt, dass es um die Ehe von Peter und Emma Grauwiler nicht wirklich gut bestellt war.»
«Na prima. Das ist ja etwas ganz Aussergewöhnliches. Francesco, du bist und bleibst ein unverbesserlicher Romantiker. Krisen gehören zu jeder Beziehung. Das besagt doch noch gar nichts.»
«Sagt die Beziehungsexpertin Nadine Kupfer! Apropos Beziehung, ist Noldi wieder normal?»
«Distanziert. Er nickte mir heute Morgen nur kurz zu. Gesagt hat er nichts. Ich bin die böse Alte, die an allem Schuld ist.»
«Das renkt sich schon wieder ein.»
«Vielleicht … vielleicht will ich dann aber auch nicht mehr. Ich kann keinen gebrauchen, der beim ersten Windstoss die Richtung wechselt.»
«Damit gibst du zu, dass es dir mit Noldi ernst ist.»
«Da liegst du ganz falsch, Francesco! Ich will weder mit Noldi zusammenziehen noch Kinderchen von ihm. Er ist zur lieben Gewohnheit geworden. Wie ein Kanarienvogel oder ein Hamster.»
Starke Aussage! Nach grosser Liebe klang das nicht. Allerdings mimte Nadine gern die kühle Schöne, um ja keine Gefühle zeigen zu müssen. Das wusste Ferrari nur zugut. Schmunzelnd stellte er sich Noldi im
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