Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Glücks

Das Schweigen des Glücks

Titel: Das Schweigen des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
Vom Netzwerk:
bevor Judy ankam, hatte Denise ihn rundum mit Sonnenschutzcreme eingeschmiert und mit Mückenspray besprüht. Bei seinem Spiel am Boden blieb der Staub an der Cremeschicht haften, seine Shorts und sein Hemd hatten braune Schmierstreifen und sein Gesicht sah aus, als wäre es eine Woche lang nicht gewaschen worden. Denise fühlte sich an die Pächterkinder aus Steinbecks »Früchte des Zorns« erinnert.
    Auf dem kleinen Holztisch
(den sie auf einem Flohmarkt für drei Dollar erstanden hatte – ein fantastischer Kauf der Schnäppchenjägerin Denise Holton!)
standen zwei Gläser mit gesüßtem Tee. Denise hatte ihn am Morgen nach Art der Südstaaten gemacht: Sie hatte Luzianne-Tee aufgekocht und Zucker hineingegeben, damit er sich ganz auflösen konnte; dann wurde das Getränk mit Eiswürfeln gekühlt. Judy nahm einen Schluck aus ihrem Glas, ihre Augen ließen Kyle nicht los.
    »Deine Mutter hat sich auch gern schmutzig gemacht«, sagte Judy.
    »Meine Mutter?«
    Judy sah sie belustigt an. »Warum bist du überrascht.
    Deine Mutter war ziemlich wild als Kind.«
    Denise nahm ihr Glas.
    »Bist du sicher, dass wir von derselben Frau sprechen?«, fragte Denise. »Meine Mutter hat nicht einmal die Zeitung reingeholt, ohne Makeup aufzulegen.«
    »Oh, das fing in der Zeit an, als sie die Jungen entdeckte. Da haben sich ihre Angewohnheiten geändert. Sie hat sich in eine perfekte Südstaaten-Dame verwandelt, bis hin zu Handschuhen und tadellosen Tischmanieren, und das praktisch von einem Tag auf den anderen. Aber lass dich davon nicht blenden. Davor war deine Mutter ein echter Huckleberry Finn.«
    »Das soll wohl ein Witz sein, oder?«
    »Nein – wirklich. Deine Mutter hat Frösche gefangen, sie konnte fluchen wie ein Krebsfischer, der sein Netz verloren hat, sie hat sich sogar mit Jungen geprügelt, um zu zeigen, wie stark sie war. Und sie konnte gut kämpfen, das kann ich dir versichern. Wenn ein Junge noch überlegte, ob es sich schickte, ein Mädchen zu schlagen, boxte sie ihm auf die Nase. Einmal haben die Eltern von einem der Jungen tatsächlich den Sheriff gerufen. Der Junge hat sich so sehr geschämt, dass er eine Woche nicht in die Schule gegangen ist, aber er hat deine Mutter nie wieder gehänselt. Sie ließ sich nichts gefallen.«
    Judy blinzelte, ihre Gedanken wanderten offensichtlich zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Denise sagte nichts und wartete, dass Judy weitersprechen würde.
    »Ich weiß noch, wie wir zum Fluss runtergegangen sind, um Brombeeren zu pflücken. Deine Mutter trug nicht einmal Schuhe in dem ganzen Dornengestrüpp. Sie hatte eine Haut wie Leder unter den Füßen. Sie lief den ganzen Sommer ohne Schuhe herum, nur in der Kirche hatte sie welche an. Im September waren ihre Füße so schmutzig, dass ihre Mutter den Schmutz nur mit Stahlschwamm und Ajax entfernen konnte. Und wenn die Schule begann, kam deine Mutter die ersten paar Tage humpelnd zum Unterricht. Ich habe nie rausbekommen, ob das an dem Stahlschwamm lag oder daran, dass sie es nicht mehr gewöhnt war, Schuhe zu tragen.«
    Denise lachte ungläubig auf. Das war eine Seite ihrer Mutter, von der sie noch nie gehört hatte. Judy fuhr fort:
    »Ich habe hier ganz in der Nähe gewohnt. Kennst du das Haus von den Boyles? Das weiße Haus mit den grünen Fensterläden – hinten dran steht eine große rote Scheune.«
    Denise nickte. Sie kam auf dem Weg in die Stadt daran vorbei.
    »Da habe ich als Kind gelebt. Deine Mutter und ich, wir waren die einzigen, die in dieser Ecke wohnten, und so haben wir praktisch alles zusammen gemacht. Außerdem waren wir gleich alt, so dass wir in der Schule die gleichen Fächer hatten. Es waren ja die vierziger Jahre und damals saßen alle Kinder bis zur achten Klasse in einem Klassenzimmer, aber man versuchte trotzdem immer, die Kinder nach Altersgruppen zusammenzusetzen. Deine Mutter und ich haben die ganze Schulzeit hindurch nebeneinander gesessen. Sie war wahrscheinlich die beste Freundin, die ich je hatte.«
    Judy hatte den Blick auf die Bäume in der Ferne gerichtet und schien in ihren nostalgischen Gedanken gefangen.
    »Warum seid ihr nicht in Kontakt geblieben, nachdem sie weggezogen ist?«, fragte Denise. »Ich meine… «
    Sie brach ab und überlegte, wie sie ihre Frage stellen konnte, und Judy sah sie von der Seite her an.
    »Du meinst, warum sie dir nie davon erzählt hat, wo wir doch so gute Freundinnen waren?«
    Denise nickte und Judy dachte nach.
    »Ich denke, es hatte hauptsächlich

Weitere Kostenlose Bücher