Das Schweigen des Glücks
die langen Beine hatte er unter den Tisch gestreckt.
»Er schläft schon«, sagte sie.
»Das ging ja schnell.«
»Es war ein großer Tag für ihn. Normalerweise bleibt er nicht so lange auf.«
Die Küche wurde von einer einzelnen Glühbirne, die von der Decke hing, erhellt. Die Zweite war ein paar Tage zuvor durchgebrannt und Denise wünschte sich, sie hätte sie ausgewechselt, denn plötzlich kam es ihr etwas zu schummerig und zu intim in der kleinen Küche vor. Sie suchte Zuflucht in der Konvention.
»Möchtest du etwas trinken?«
»Ich nehme ein Bier, wenn du eins da hast.«
»So weit reicht meine Auswahl nicht.«
»Was hast du denn?«
»Eistee.«
»Und?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wasser?«
Er lächelte unwillkürlich. »Tee wäre schön.«
Sie goss zwei Gläser ein und reichte ihm eins. Sie wünschte, sie hätte für sie beide etwas Gehaltvolleres gehabt. Etwas, das ihr Gelassenheit geben würde.
»Es ist ziemlich warm hier drinnen«, sagte sie ruhig. »Wollen wir uns auf die Veranda setzen?«
»Gern.«
Sie gingen raus und setzten sich auf die Schaukelstühle; Denise nahm den neben der Tür, damit sie Kyle hörte, falls er aufwachte.
»Na, das gefällt mir«, sagte Taylor und machte es sich bequem.
»Wie meinst du das?«
»Das hier. Draußen zu sitzen. Ich komme mir vor wie in einer Episode der ›Waltons‹.«
Denise lachte. Sie spürte, wie ihre Befangenheit verflog. »Sitzt du nicht gern auf der Veranda?«
»Doch, aber ich tue es selten. Es gehört zu den Dingen, zu denen ich irgendwie kaum Zeit habe.«
»Und du willst ein normaler Mann aus den Südstaaten sein?« fragte sie und wiederholte die Worte, die er am Tag davor benutzt hatte. »Ich hatte mir vorgestellt, dass ein Kerl wie du dauernd auf der Veranda sitzt und auf seinem Banjo ein Lied nach dem anderen klimpert, während ein Hund zu seinen Füßen liegt.«
»Mit meiner Sippe, einem Glas Schwarzgebrannten und einem Spucknapf da drüben?«
Sie grinste. »Na klar.«
Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich nicht wüsste, dass du auch aus dem Süden bist, würde ich denken, du wolltest mich beleidigen.«
»Aber weil ich aus Atlanta bin…?«
»… lasse ich es diesmal durchgehen.«
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Was vermisst du am meisten von der Großstadt?«
»Nicht viel. Wenn ich jünger wäre und Kyle nicht da wäre, würde ich hier wahrscheinlich wahnsinnig. Aber ich brauche keine Einkaufszentren oder Restaurants oder Museen mehr. Früher waren diese Dinge wichtig, doch in den letzten Jahren konnte ich das alles sowieso nicht mehr wahrnehmen, obwohl ich in der Stadt war.«
»Vermisst du deine Freunde?«
»Manchmal. Wir versuchen, in Kontakt zu bleiben. Wir schreiben und telefonieren und so. Aber wie ist es bei dir? Hast du nie den Drang verspürt, deine Sachen zu packen und wegzuziehen?«
»Eigentlich nicht. Ich bin ganz zufrieden hier, außerdem lebt meine Mutter hier. Ich käme mir schäbig vor, wenn ich sie allein lassen würde.«
Denise nickte. »Ich weiß nicht, ob ich umgezogen wäre, wenn meine Mutter noch lebte, aber ich glaube nicht.«
Plötzlich musste Taylor an seinen Vater denken.
»Du hast allerhand durchgemacht im Leben.«
»Zu viel, denke ich manchmal.«
»Aber du machst weiter.«
»Ich muss. Es gibt jemanden, der auf mich angewiesen ist.«
Ihr Gespräch wurde von einem Rascheln im Gebüsch und einem katzenähnlichen Schrei unterbrochen. Zwei Waschbären sprangen aus dem Unterholz und sausten über die Wiese. Sie wurden von dem Licht auf der Veranda erfasst und Denise stand auf, um besser sehen zu können. Taylor trat neben sie ans Geländer und spähte in die Dunkelheit. Die Waschbären blieben stehen und drehten sich um, dann bemerkten sie die beiden Menschen auf der Veranda und liefen weiter über die Wiese, bis sie in der Nacht verschwanden.
»Sie kommen fast jeden Abend. Ich glaube, sie suchen nach Essensresten.«
»Wahrscheinlich. Der Mülleimer zieht sie an.«
Denise nickte viel sagend. »Als ich neu hier war, dachte ich, es seien Hunde, die den Müll durchwühlten. Dann habe ich eines Nachts diese beiden ertappt. Erst wusste ich gar nicht, was das für Tiere sind.«
»Hattest du nie einen Waschbären gesehen?«
»Doch, schon. Aber nicht mitten in der Nacht, nicht in meinem Müll und bestimmt nicht auf meiner Veranda. In meiner Wohnung in Atlanta spielte das Leben der Wildnis keine Rolle. Spinnen – ja, aber keine Raubtiere!«
»Du hörst dich an wie die
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