Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Glücks

Das Schweigen des Glücks

Titel: Das Schweigen des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
Vom Netzwerk:
gewesen, ihn zu verstehen. Sie konnten es nicht. Sie waren beide nie mit dem schrecklichen Gedanken aufgewacht, dass sie die Stimme ihres Vaters vergessen hatten. Sie hatten nicht nur ein einziges Foto zur Erinnerung. Keine kannte den intensiven Wunsch, sich um einen kleinen Granitblock im Schatten einer Weide kümmern zu wollen.
    Er wusste, dass endlich jemand die Dinge ansprach, die ihn bewegten, und zum zweiten Mal an dem Abend griff er nach ihrer Hand.
    Sie hielten sich schweigend an den Händen, die Finger locker ineinander verschränkt, und fürchteten, dass jedes Wort den Zauber durchbrechen würde. Vereinzelte Wolken zogen träge im silbrigen Mondschein über den Himmel. Denise stand nervös neben Taylor und beobachtete, wie Schatten auf seinem Gesicht spielten. An seinem Kiefer war eine kleine Narbe, die sie vorher noch nicht bemerkt hatte, und eine andere unterhalb des Ringfingers an der Hand, die ihre hielt, vielleicht eine kleine Brandwunde, die schon lange abgeheilt war. Falls er mitbekam, wie sie ihn musterte, ließ er sich nichts anmerken. Stattdessen starrte er in die Ferne.
    Die Luft hatte sich ein wenig abgekühlt. Vom Meer war schon früher eine leichte Brise gekommen und jetzt war die Luft ganz still. Denise nippte an ihrem Tee und lauschte den Insekten, die geräuschvoll um das Verandalicht surrten. Eine Eule rief aus der Dunkelheit. Zikaden zirpten in den Bäumen. Der Abend neigte sich seinem Ende zu, das spürte sie. Er war schon fast vorüber.
    Taylor trank sein Glas leer – die Eiswürfel klirrten leise und setzte es auf dem Geländer ab.
    »Ich sollte gehen. Ich fange morgen früh an.«
    »Das kann ich mir denken«, sagte sie.
    Aber er blieb noch einen Moment stehen, ohne etwas zu sagen. Aus irgendeinem Grund musste er daran denken, wie sie ausgesehen hatte, als sie ihm von ihren Sorgen um ihren Sohn erzählt hatte: ihr trotziger Ausdruck, die Gefühlsintensität, mit der die Worte aus ihr herausgeflutet waren. Seine Mutter hatte sich auch Sorgen gemacht um ihn, aber war es vergleichbar mit dem, was Denise jeden Tag durchmachte?
    Er wusste, dass es nicht das Gleiche war.
    Es rührte ihn zu sehen, dass ihre Sorgen die Liebe zu ihrem Sohn nur gestärkt hatten. Und Zeuge dieser bedingungslosen Liebe zu sein, so rein angesichts der Schwierigkeiten – es war natürlich, darin Schönheit zu entdecken. Wer würde das nicht tun? Aber es war mehr zwischen ihnen, oder? Eine Tiefe, eine Gemeinsamkeit, die er mit keinem anderen Menschen gefunden hatte.
    Und immer noch vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, die Uhr zurückdrehen und den Gang der Dinge ändern zu können.
    Woher wusste sie das?
    Ihr ebenholzschwarzes Haar, das bei Nacht noch dunkler wirkte, machte sie irgendwie geheimnisvoll. Schließlich stieß Taylor sich vom Geländer ab.
    »Du bist eine gute Mutter, Denise.«
    Er wollte ihre zierliche Hand gar nicht loslassen. »Auch wenn es hart ist, auch wenn es nicht das ist, was du erwartet hattest – ich glaube trotzdem, dass alles seinen Grund hat. Kyle brauchte jemanden wie dich.«
    Sie nickte.
    Mit großem Widerstreben wandte er sich vom Geländer ab, von den Kiefern und Eichen, von den Gefühlen in seinem Inneren. Die Bohlen der Veranda knarrten, als Taylor zu den Stufen ging und Denise ihn begleitete.
    Sie sah zu ihm auf.
    Er hätte sie beinahe geküsst. In dem weichen gelben Licht der Veranda schienen ihre Augen mit einer verborgenen Intensität zu leuchten. Aber er wusste nicht, ob sie das von ihm wollte, und im letzten Moment hielt er sich zurück. Der Abend war schon so ein ganz besonderer – seit langer Zeit der erste – und er wollte ihn nicht verderben.
    Stattdessen machte er einen kleinen Schritt zurück, als wollte er ihr Platz machen.
    »Für mich war es ein wunderbarer Abend«, sagte er.
    »Für mich auch«, erwiderte sie.
    Endlich ließ er ihre Hand los und spürte sogleich eine Sehnsucht nach ihrer Berührung. Er wollte ihr sagen, dass sie etwas in sich trug, das außergewöhnlich selten war, etwas, wonach er immer gesucht und was er nie zu finden gehofft hatte. All das wollte er sagen und merkte, dass er es nicht konnte.
    Er lächelte wieder schwach und schließlich wandte er sich ab und ging im fahlen Mondlicht die Stufen hinunter und in die Dunkelheit zu seinem Truck.
    Denise stand auf der Veranda und winkte ein letztes Mal, als Taylor die Auffahrt hinunterfuhr und die Scheinwerfer in die Ferne leuchteten. Bei der Straße blieb er stehen, ließ ein Auto vorbei

Weitere Kostenlose Bücher