Das Schweigen des Glücks
und bog dann ab. Taylor fuhr in Richtung Stadt.
Als er fort war, ging Denise in ihr Schlafzimmer. Auf ihrem Nachttisch standen eine kleine Leselampe, ein Foto von Kyle als Kleinkind und ein Wasserglas, noch halb voll, das sie am Morgen nicht in die Küche mitgenommen hatte. Seufzend zog sie die Schublade auf. Früher hätten vielleicht Zeitschriften und Bücher darin gelegen, aber jetzt war sie leer bis auf eine Flasche Parfüm, die sie von ihrer Mutter bekommen hatte, ein paar Monate vor deren Tod. Denise hatte den Inhalt halb aufgebraucht, nachdem sie die Flasche geschenkt bekommen hatte, doch seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie es nie wieder benutzt. Sie hatte die Flasche aufgehoben als Erinnerung an ihre Mutter und jetzt fiel ihr ein, wie lange sie kein Parfüm mehr getragen hatte. Sogar heute Abend hatte sie vergessen, welches aufzulegen.
Sie war Mutter. Vor allem so verstand sie ihre Rolle. Aber so sehr sie es auch leugnen wollte, wusste sie doch, dass sie auch eine Frau war; nachdem sie dieses Wissen jahrelang versteckt gehalten hatte, spürte sie es jetzt. In diesem Moment, da sie in ihrem Schlafzimmer saß und auf die Parfumflasche blickte, war sie von einer großen Unruhe erfüllt. Es gab etwas in ihr, das begehrt werden wollte, umsorgt und beschützt, angehört und bedingungslos angenommen. Sie wollte geliebt werden.
Denise drehte das Licht in ihrem Schlafzimmer aus und ging über den Flur. Kyle schlief tief und fest. Es war so warm in seinem Zimmer, dass er die Decke zur Seite geschoben hatte und jetzt unbedeckt da lag. Auf seiner Kommode spielte ein kleiner leuchtender Teddybär aus Plastik mit einer Spieluhr im Leib immer wieder dieselbe Melodie. Seit Kyle ein Baby war, war der Teddy seine Nachtlampe. Denise drehte die Spieluhr ab, dann ging sie zu seinem Bett und zog die Wolldecke über dem Laken weg. Kyle drehte sich um, als sie ihn zudeckte. Sie küsste ihn auf die Wange, auf seine weiche, makellose Haut, und ging aus dem Zimmer.
In der Küche war es still. Draußen konnte sie die Grillen hören, die ihr Sommerlied zirpten. Sie sah aus dem Fenster. Im Mondlicht glänzten die Bäume silbern, die Blätter waren reglos und still. Der Himmel war von Sternen übersät, bis ins Unendliche, und sie sah zu ihnen hinauf und lächelte und dachte an Taylor McAden.
Kapitel 16
Z wei Abende später saß Taylor in seiner Küche und ordnete seine Papiere, als ein Notruf kam.
Ein Unfall auf der Brücke, an dem ein Tanklastzug und ein Personenwagen beteiligt waren.
Er schnappte sich seine Schlüssel und war in weniger als einer Minute aus dem Haus. Fünf Minuten später war er einer der ersten an der Unfallstelle. Er hörte die Sirene des Feuerwehrzuges in der Ferne heulen.
Taylor fragte sich, ob sie es rechtzeitig schaffen würden. Er hielt an, sprang heraus und ließ die Tür offenstehen. In beide Richtungen staute sich der Verkehr, die Leute waren aus ihren Autos gestiegen und begafften die entsetzliche Szene.
Der Tankwagen hatte sich mit der Fahrerkabine auf einen Honda geschoben und dessen Heck völlig zerquetscht, dann war er durch das Brückengeländer gebrochen. Bei dem Aufprall war der Fahrer des Tankwagens so scharf in die Bremsen gestiegen, dass das Lenkrad blockiert hatte und der Tankwagen quer über die Fahrbahnen geschossen war. Jetzt versperrte er die Straße in beide Richtungen. Das Auto war unter dem Fahrerhaus eingeklemmt und hing wie ein Sprungbrett von der Brücke; nur die zerfetzten Hinterreifen standen noch auf der Fahrbahn, während sich das Vorderteil gefährlich nach unten neigte. Als sich der Wagen unter dem Stahlseil der seitlichen Brückenbegrenzung durchgeschoben hatte, war das Dach aufgeschlitzt worden und sah nun aus wie der Deckel einer halb geöffneten Konservendose. Allein das Gewicht der Fahrerkabine des Tankwagens, das auf dem Honda lastete, verhinderte, dass der Wagen fünfundzwanzig Meter tief in den Fluss stürzte, doch der Tankwagen selbst schien auch ziemlich gefährdet.
Aus dem Motor quoll Rauch und eine Flüssigkeit lief aus, tropfte auf den Honda und überzog die Motorhaube mit einer glänzenden Schicht.
In dem Moment entdeckte Mitch Taylor und kam sofort zu ihm, um ihm zu berichten, was man wusste.
»Der Fahrer des Tankwagens ist wohlauf, aber in dem Auto sitzt jemand. Ob Mann oder Frau, können wir nicht sagen – die Person liegt zusammengesackt über dem Lenkrad.«
»Was ist mit den Tanks auf dem Laster?«
»Drei viertel voll.«
Qualmender Motor…
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