Das Schweigen des Sammlers
ein.«
Das war ein Befehl. Adrià stieg ein. Sie kurvten ziellos durch den dichten Verkehr im Eixample. Senyor Voltes drückte einen Knopf, und leise erklang eine von Enescus Sonaten für Violine und Klavier. Und plötzlich nahm Senyor Voltes an einer roten Ampel seine Erzählung wieder auf, die er in seinem Kopf sicherlich die ganze Zeit über fortgeführt hatte.
Nachdem er den Duschen entronnen war, weil er Arzt war,saß er zwei Tage lang in Baracke sechsundzwanzig herum, in der sechzig stille, dürre Menschen mit verlorenem Blick hausten. Wenn die anderen morgens zum Arbeitskommando ausrückten, blieb er mit dem rumänischen Kapo allein, der ihn aus der Entfernung misstrauisch beäugte, als ob er sich fragte, was er wohl mit diesem Neuling anstellen solle, der immer noch so gesund aussah. Am dritten Tag erübrigte sich die Frage, als ein offensichtlich betrunkener Hauptsturmbannführer in die leere Baracke hineinlugte und dort Doktor Epstein entdeckte, der auf seiner Pritsche saß und versuchte, sich unsichtbar zu machen.
»Was macht der hier?«
»Befehl von Sturmbannführer Barber.«
»Du!«
Mit »Du« war er gemeint. Langsam wandte er sich um und sah dem Offizier in die Augen.
»Steh gefälligst auf, wenn ich mit dir rede!«
Du stand auf, weil der Hauptsturmbannführer mit ihm redete.
»In Ordnung. Den nehme ich.«
»Aber Herr«, sagte der Kapo, knallrot im Gesicht, »Sturmbannführer Barber …«
»Sturmbannführer Barber sagst du, dass ich ihn mitgenommen habe.«
»Aber Herr!«
»Sturmbannführer Barber kann mich mal. Hast du jetzt kapiert?«
»Ja, Herr.«
»Du da, komm mit, wir werden jetzt ein bisschen Spaß haben.«
Es wurde ein großer Spaß, ein Heidenspaß. Ein einschneidendes Erlebnis. Er erfuhr, dass Sonntag war, als der Offizier ihm unterwegs erzählte, dass er ein paar Freunde zu Besuch hatte. Bei den Offiziersunterkünften angekommen, steckte man ihn in eine Art Weinkeller, wo ihn acht oder zehn Augenpaare erschrocken ansahen. Er fragte, was zum Teufel ist denn hier los?, aber die anderen verstanden ihn nicht, da es,wie sich herausstelte, ungarische Frauen waren und er auf Ungarisch nur köszönöm sagen konnte, was aber niemandem auch nur ein Lächeln entlockte. Dann flog plötzlich die Tür des Weinkellers auf, und er erkannte, dass es gar kein Keller war, weil er auf einen schmalen, langgestreckten Hof hinausging. Ein rotnasiger Unterscharführer brüllte Du direkt ins Ohr, wenn ich »jetzt« sage, rennt ihr alle los, bis zu der Wand da hinten. Wer als Letzter ankommt, ist ein Schwächling. Jetzt!
Die acht bis zehn Frauen und Du rannten los wie die Gladiatoren im Zirkus. Hinter ihnen ertönte fröhliches Gelächter. Die Frauen und Du erreichten die Wand, nur eine alte Frau hatte erst die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Da erscholl eine Art Fanfare, und man hörte Schüsse. Von einem halben Dutzend Kugeln durchsiebt, sank die alte Ungarin zu Boden, zur Strafe dafür, dass sie die Letzte gewesen war, die arme anyóka, die arme öreganyó; warum hatte sie es auch nicht bis zur Wand geschafft, die verlauste alte Schachtel. Entsetzt drehte Du sich um. Auf einer erhöhten Galerie luden drei Offiziere ihre Gewehre nach, und ein vierter, ebenfalls bewaffneter, ließ sich von einer offenkundig betrunkenen Frau eine Zigarre anstecken. Der Männer diskutierten hitzig, einer von ihnen erteilte dem rotnasigen Unteroffizier einen scharfen Befehl, und dieser brüllte ihnen zu, nun sollten sie schön langsam in ihren Unterschlupf zurückkehren, ihre Aufgabe sei noch nicht beendet, und die Ungarinnen und Du gingen mit Tränen in den Augen zurück an ihre Plätze, wobei sie versuchten, nicht auf die Leiche der Alten zu treten. Dann sahen sie mit Entsetzen, wie ein Offizier auf sie zielte, je näher sie dem Kellerraum kamen, und erwarteten den Schuss. Aber ein anderer Offizier erkannte die Absicht seines Kameraden und schlug ihm auf die Finger, gerade als er auf eine ausgemergelte junge Frau schoss, und der Schuss ging daneben, eine halbe Handbreit über Dus Kopf hinweg.
»So, und nun rennt ihr wieder bis zur Wand.« Der Unterscharführer schubste Onkel Chaim an seinen Platz: »Du stellst dich hier hin, verdammt!«
Dann musterte er seinen Hasenhaufen voller Stolz und rief: »Wer von euch Kanaillen nicht im Zickzack läuft, kommt nicht an. Los!«
Sie waren so besoffen, dass sie nur drei Frauen trafen. Du kam lebendig auf der anderen Seite an, fühlte sich aber schuldig, weil er den drei
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