Das Schweigen des Sammlers
Künstlers, um die Evolution voranzutreiben.«
»Dann beruht die Macht also auf der Persönlichkeit«, sagte Sara gähnend vom Bett aus.
»Ich weiß es nicht. Van der Weyden, Monet, Picasso, Barceló. Das ist eine aufstrebende Linie, die mit den Höhlenmalereien von Valltorta begann und nicht enden wird, solange die Menschheit existiert.«
»Schreib das auf.« Bernat trank seinen Tee aus und stellte die Tasse vorsichtig auf den Unterteller. »Meinst du nicht?«
»Ist es die Schönheit?«
»Wie?«
»Ist die Schönheit schuld? Was heißt Schönheit?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich weiß sie zu erkennen. Warum schreibst du das nicht auf?«, wiederholte Bernat und sah ihm in die Augen.
»Der Mensch zerstört den Menschen, aber er dichtet auch Paradise Lost .«
»Es ist ein Rätsel, ja. Du musst darüber schreiben.«
»Die Musik von Franz Schubert entführt mich in eine bessere Zukunft. Schubert ist imstande, mit wenigen Elementen viel auszudrücken. Er hat eine unerschöpfliche melodische Kraft, voller Anmut und Liebreiz und zugleich voller Energie und Wahrheit. Schubert ist künstlerische Wahrhaftigkeit, und daran müssen wir uns klammern, um uns zu retten. Ich finde es unglaublich, dass er syphilitisch, kränklich und knapp bei Kasse war. Welche Macht hat dieser Mann? Welche Macht hat er über uns? Ich, für meinen Teil, falle vor Schuberts Kunst auf die Knie.«
»Bravo, Herr Obersturmführer. Ich habe schon geahnt, dass Sie ein feinfühliger Mensch sind.«
Doktor Budden zog an seiner Zigarette und blies eine dünne Rauchsäule in die Luft, während er sich den Anfang von Opus 100 in Erinnerung rief und ihn mit erstaunlicher Präzision sang.
»Ihr Ohr möchte ich haben, Herr Obersturmführer.«
»Das ist nichts Besonderes. Ich habe Klavier studiert.«
»Beneidenswert.«
»Glauben Sie das nicht. Ich habe viel Zeit auf das Studium der Medizin und der Musik verwendet und immer das Gefühl gehabt, dass mir im Leben viel entgangen ist.«
»Das holen Sie ja jetzt in vollen Zügen nach, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte der Lagerkommandant Höß und breitete die Arme aus. »Jetzt sind Sie mitten im prallen Leben.«
»Ja, schon. Vielleicht ging mir das sogar ein bisschen zu schnell.«
Eine Pause entstand, in der die beiden Männer einander zu belauern schienen. Dann drückte Doktor Budden seine Zigarette im Aschenbecher aus, beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme.
»Warum wollten Sie mich sprechen, Herr Obersturmbannführer?«
Ebenso leise, als misstraute er seinen eigenen vier Wänden, sagte der Lagerkommandant Höß, er wolle mit ihm über seinen Vorgesetzten sprechen.
»Voigt?«
»Ja.«
Schweigen. Vermutlich schätzten sie das Risiko ab. In beiläufigem Ton fuhr Höß fort, ganz unter uns, was halten Sie von ihm?
»Tja, ich …«
»Ich bitte Sie …, ich fordere Sie auf, ehrlich zu sein. Das ist ein Befehl, lieber Herr Obersturmführer.«
»Also, unter uns … Er ist ein Trottel.«
Es befriedigte Höß offenbar, das zu hören. Er setzte sich bequemer hin. Dann blickte er Doktor Budden in die Augen und sagte, er habe Maßnahmen eingeleitet, damit Voigt, dieser Trottel, an irgendeine Front abkommandiert würde.
»Und wer übernimmt dann die …«
»Sie natürlich.«
Was? Mmh …, warum eigentlich nicht?
Damit war alles gesagt. Ein neues Bündnis ohne Mittler zwischen Gott und seinem Volk. Das Trio von Schubert erklang weiter als Hintergundmusik zu diesem Gespräch. Um das unbehagliche Schweigen zu brechen, sagte Doktor Budden, wussten Sie eigentlich, dass Schubert dieses Wunderwerk wenige Monate vor seinem Tod komponiert hat?
»Schreib es auf. Im Ernst, Adrià.«
Doch im Augenblick blieb alles in der Schwebe, denn Laura war von ihrem Aufenthalt in Uppsala zurück, und an der Universität, insbesondere im Büro der Fakultät, wurde es wieder etwas ungemütlicher. Sie wirkte munterer als vor ihrer Abreise, er fragte sie, geht es dir gut?, und Laura lächelte ihm zu und ging zum Hörsaal fünfzehn, ohne zu antworten. Adrià schloss daraus, dass es ihr gutging. Jedenfalls sah sie gut aus, besser als vor der Reise. Adrià, der in diesem Semester, sozusagen als Untermieter, am Tisch der Parera saß, fiel es schwer, zu seinen Texten über die Schönheit zurückzukehren. Er wusste nicht, aus welchem Grund, doch das Themahatte ihn so sehr in den Bann geschlagen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben zu spät zum Unterricht erschienen war. Lauras Schönheit, Saras
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