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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Deinen. Und einige Freuden, die aus den lebhaften Augen leuchten und das herrliche Gesicht erstrahlen lassen. Ich habe es hier vor mir, während ich diesen langen Brief schreibe, der eigentlich nur zwei Bögen füllen sollte. Ich liebe dich. Ich habe dich entdeckt, ich habe dich verloren, und ich habe dich wiedergefunden. Und vor allem haben wir das große Glück gehabt, gemeinsam älter zu werden. Bis das Unheil über uns kam.
    In jenen Tagen hatte sie keine Zeit für Illustrationen und geriet mit ihren Aufträgen in Verzug, was ihr noch nie passiert war. Sie war mit ihren Gedanken nur bei den Porträtzeichnungen.
    Bis zur Vernissage bei Artipèlag fehlte noch ein Monat, und ich war, bevor ich mich wieder Vico, Llull und Berlin zuwandte, über Puschkin und Belinski zu Hobbes gelangt, hatte mich mit seiner finsteren Sicht der stets auf das Böse gerichteten menschlichen Natur beschäftigt und war schließlich beiseiner Übersetzung der Ilias gelandet, die ich in einer entzückenden Ausgabe aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts las. Und ja, das Unheil.
    Thomas Hobbes versuchte mir einzureden, dass ich mich zwischen Freiheit und Ordnung entscheiden müsse, andernfalls käme der Wolf, der mir nicht nur in der Menschheitsgeschichte, sondern auch in meinem Bekanntenkreis schon oft begegnet war. Ich hörte den Schlüssel im Schloss, dann leise die Wohnungstür, und es war nicht Hobbes’ Wolf, es waren Saras gedämpfte Schritte, die sich meinem Arbeitszimmer näherten. Sie trat ein und stand sekundenlang still und stumm da. Ich sah auf und erkannte sofort, dass wir ein Problem hatten. Sara setzte sich auf das Sofa, hinter dem ich mit Carson und Schwarzer Adler so viele geheime Gespräche belauscht hatte. Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte. Adrià merkte, wie sie nach den richtigen Worten suchte, nahm seine Lesebrille ab und sagte ermunternd, na, Sara, was ist los?
    Sara stand auf, ging zum Instrumentenschrank und nahm Vial heraus. Sie legte die Geige mit übertriebenem Nachdruck auf den Lesetisch, wo sie den armen unschuldigen Hobbes fast zudeckte.
    »Woher hast du die?«
    »Mein Vater hat sie gekauft.« Argwöhnische Pause. »Ich habe dir die Urkunde doch gezeigt. Warum?«
    »Wo hatte dein Vater sie her?«
    »Das ist Vial, die einzige Storioni, die einen Eigennamen hat.«
    Sara schwieg, bereit, mir zuzuhören. Und Guillaume-François Vial trat einen Schritt aus der Dunkelheit hervor, damit der Insasse der Kutsche ihn sehen konnte. Der Kutscher brachte die Pferde direkt vor ihm zum Stehen, der Schlag öffnete sich, und Monsieur Vial stieg ein.
    »Guten Abend«, sagte La Guitte.
    »Ihr könnt sie mir geben, Monsieur La Guitte. Mein Onkel ist mit dem Preis einverstanden.«
    La Guitte lachte in sich hinein, stolz auf seine gute Nase.Trotzdem vergewisserte er sich: »Wir sprechen von fünftausend Florin.«
    »Wir sprechen von fünftausend Florin«, beruhigte ihn Monsieur Vial.
    »Morgen werdet Ihr die Geige des berühmten Storioni in den Händen halten.«
    »Versucht nicht, mir etwas weiszumachen, Monsieur La Guitte. Storioni ist nicht berühmt.«
    »In Italien, in Neapel, in Florenz spricht man von keinem anderen.«
    »Und in Cremona?«
    »Die Bergonzis und Konsorten sind keineswegs erfreut über die Eröffnung dieser neuen Werkstatt.«
    »Das hast du mir alles schon erzählt …«, sagte Sara ungeduldig wie zu einem begriffstutzigen Kind.
    Doch Adrià überhörte ihre Bemerkung und fuhr fort: »Mon cher tonton …«, rief Monsieur Vial aus, als er früh am Morgen in den Salon platzte. Jean-Marie Leclair hob nicht einmal den Kopf; er betrachtete die Flammen im Kamin. »Mein lieber Onkel«, setzte Vial mit weniger Überschwang noch einmal an.
    Leclair wandte sich halb um. Ohne ihn anzusehen, fragte er, ob er die Geige mitgebracht habe. Vial legte sie auf den Tisch. Leclairs Finger griffen sofort nach dem Instrument. Aus einem Gemälde an der Wand trat ein Diener mit verschnupfter Nase und einem Geigenbogen hervor, und Leclair begann anhand von Fragmenten aus drei seiner Sonaten alle Klangmöglichkeiten dieser Storioni ausgiebig zu erforschen.
    »Sie ist sehr gut«, sagte er schließlich. »Wie viel hast du dafür bezahlt?«
    »Howgh.«
    »Zehntausend Florin, plus die Prämie von fünfhundert Goldmünzen, die Ihr mir geben werdet, weil ich dieses Juwel gefunden habe.«
    »Hey! Howgh!«
    Mit herrischer Geste jagte Leclair die Diener hinaus. Erlegte seinem Neffen die Hand auf die Schulter und lächelte. Und ich hörte

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