Das Schweigen des Sammlers
»Das ist eine Kollegin, die …«
Professor Roig trat ans Bett, sah Gertrud ins Gesicht, küsste sie auf die Stirn, kniff sie in die Wange und sagte, ich bin gleich wieder da, Liebling, ich habe vergessen, Suppennudeln zu kaufen. Und ohne jede weitere Erklärung verließ er die Wohnung. Als die Frauen wieder unter sich waren, sahen sie einander bestürzt an.
Sara, gestern Abend habe ich den Zettel mit dem Namen gefunden. Matthias Alpaerts steht darauf. Er lebt in Antwerpen. Aber weißt du, ich traue deiner Informationsquelle nicht. Diese Quelle ist verseucht von Senyor Berenguers und Titos altem Groll. Senyor Berenguer ist ein Dieb, der nur danach trachtet, es meinem Vater, meiner Mutter und mir heimzuzahlen. Und dafür hat er dich benutzt. Lass mich noch eine Weile darüber nachdenken. Ich muss wissen, ob … Wie auch immer, ich tue, was ich kann, Sara.
Ich weiß, dass du mich töten willst, Sandre, auch wenn du mich Liebling nennst und mir Suppennudeln kaufst. Ich weiß, was du getan hast, weil ich es im Traum gesehen habe. Man hat mir gesagt, ich hätte fünf Tage im Koma gelegen. Ich aber durchlebte in diesen fünf Tagen wie in Zeitlupe immer wieder eine gestochen scharfe Vision des Unfalls. Ich betrachtete dich im Dunkeln, weil du seit einiger Zeit sehr seltsam bist, ausweichend, gereizt, ständig in Gedanken versunken. Das Erste, woran eine Frau denkt, wenn ihr Mann sich so benimmt, ist, dass er eine andere Frau im Kopf hat, das Gespenst einer Rivalin. Ja, es ist das Erste, woran man denkt, aber ich wusste nicht, wie ich dich darauf ansprechen sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du mich betrügst. Am ersten Tag sagte ich laut, Hilfe, ich glaube, mein Mann will mich umbringen, Hilfe, ich glaube, er will mich umbringen, weil er im Auto so ein seltsames Gesicht gemacht hat, und dann hat er seinen Gurt gelöst und gesagt, jetzt ist Schluss, und ich, Saaaaandreeeee, Saaaukeeerl, und das alles wiederholte sich wie ein langsamer Traum, offenbar fünf Tage lang. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Als ich zum erstenMal sagte, dass du mich umbringen willst, beachtete mich niemand, als ob man mir nicht glaubte. Aber dann wurden sie aufmerksam, und diese Dora sagte, aber was redest du da, ich verstehe dich nicht, dabei sagte ich doch ganz deutlich, ich glaube, mein Mann will mich umbringen, inzwischen ganz ohne Hemmungen, weil ich jetzt obendrein fürchtete, niemand werde mir glauben oder auch nur zuhören. Das ist schlimmer, als lebendig begraben zu sein. Es ist schrecklich, Sandre. Ich sehe dir in die Augen, und du meidest meinen Blick; was brütest du aus? Warum sagst du mir nicht, was du den anderen sagst und mir nicht? Was willst du? Dass ich es dir ins Gesicht sage: Ich glaube, du wolltest mich umbringen, ich glaube, du willst mich umbringen? Dass ich dir in die Augen sehe und sage, ich glaube, du willst mich umbringen, weil ich dir ein Klotz am Bein bin und es das Einfachste wäre, mich auszublasen wie eine Kerze, damit du mir keine Erklärungen zu geben brauchst? Erklärungen, Sandre, sind jetzt wohl nicht mehr nötig, aber blas nicht mein Lebenslicht aus, ich will nicht sterben. Ich bin bewegungslos und eingesperrt in dieses Gefängnis, und mir bleibt nichts als ein schwaches Flämmchen. Nimm es mir nicht. Geh und reich die Scheidung ein, aber lösche nicht mein Leben aus.
Àgata verließ das Haus, als es im Treppenhaus bereits nach Abendessen zu duften begann. Ihr schlotterten noch immer die Beine. Die Abgaswolke eines Busses hüllte sie ein, kaum dass sie auf die Straße trat. Sie eilte zur U-Bahn. Sie hatte einem Mörder in die Augen geblickt, und es war schaurig gewesen. Falls Senyor Roig tatsächlich ein Mörder war. Doch, er war einer. Sie wollte gerade die Treppe hinuntergehen, da vertrat ihr der Mörder höchstpersönlich den Weg und sagte, Senyoreta, kann ich Sie bitte einen Moment sprechen? Erschrocken blieb sie stehen. Mit verlegenem Lächeln fuhr er sich durchs Haar und fragte:
»Wie schätzen Sie den Zustand meiner Frau ein?«
»Schlecht.« Was hätte sie sonst sagen sollen?
»Stimmt es, dass sie auf keinen Fall wieder gesund wird?«
»Bedauerlicherweise … Na ja, ich …«
»Aber eine Myomatosis ist doch heilbar, soviel man mir gesagt hat.«
»Ja, natürlich.«
»Sie glauben also auch, dass es heilbar ist?«
»Ja, Senyor. Aber ich …«
»Wenn Sie Krankenschwester sind, bin ich Kardinal von Rom.«
»Verzeihung?«
»Was hatten Sie in meiner Wohnung zu suchen?«
»Hören
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