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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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kennenlernen!«
    »Droh mir nicht.«
    »Du mir auch nicht.«
    Schweigen. Carson spuckte auf den Boden, und ich wies ihn mit einer stummen Geste zurecht.
    »Der Junge muss lernen, was wichtig ist.«
    »Und was ist wichtig?«
    »Latein, Griechisch, Geschichte, Deutsch und Französisch. Für den Anfang.«
    »Der Junge ist erst elf, Fèlix!«
    Elf Jahre. Vorhin habe ich, glaube ich, acht oder neun gesagt. Selbst auf diesen Seiten vergeht die Zeit wie im Flug. Zum Glück hatte meine Mutter den Überblick. Aber, weißt du, ich habe weder Zeit noch Lust, das alles zu korrigieren; ich schreibe in Hast, schon in meiner Jugend hatte ich es beim Schreiben ja immer eilig. Doch ist die Eile heute eine ganz andere. Und Mutter wiederholte: »Der Junge ist erst elf, und Französisch hat er schon in der Schule.«
    »J’ai perdu la plume dans le jardin de ma tante ist kein Französisch.«
    »Was sonst? Hebräisch?«
    »Er muss Racine lesen können.«
    »Du lieber Gott.«
    »Gott existiert nicht. Und in Latein könnte er viel besser sein. Schließlich geht er in die Jesuitenschule, verflixt noch mal.«
    Das betraf mich schon direkter. Schwarzer Adler und Sheriff Carson gaben keinen Mucks von sich. Sie waren nie bei den Jesuiten im Carrer de Casp gewesen. Ich wusste nicht, ob die Schule gut oder schlecht war. Aber mein Vater fand, der Lateinunterricht tauge nichts. Er hatte recht: Wir waren bei der zweiten Deklination, und ich langweilte mich zu Tode,weil die anderen nicht einmal die Verwendung von Genitiv und Dativ begriffen.
    »Du willst ihn doch jetzt nicht rausnehmen?«
    »Was hältst du vom französischen Gymnasium?«
    »Nein. Der Junge bleibt im Carrer de Casp. Fèlix, er ist noch ein Kind! Wir können ihn doch nicht ständig woanders hinschicken wie dein Bruder sein Vieh.«
    »In Ordnung, ich habe nichts gesagt. Immer muss alles nach deinem Kopf gehen«, behauptete Vater.
    »Und Sport?«
    »Kommt nicht in Frage. Die Jesuiten haben doch einen großen Schulhof, oder etwa nicht?«
    »Und Musik?«
    »Meinetwegen. Aber die Prioritäten sind klar. Adrià wird einmal ein großer Gelehrter und damit basta. Und ich suche Ersatz für Casals.«
    Wobei Casals der Ersatz für Herrn Romeu gewesen war und sich nach fünf mühsamen Unterrichtsstunden ebenfalls in vages Gerede über die hochkomplizierte deutsche Syntax verstiegen hatte, aus dem er nicht mehr herausfand.
    »Nicht nötig. Lass ihn mal Luft holen.«
    Zwei Tage später saß meine Mutter in Vaters Arbeitszimmer auf dem Sofa, hinter dem mein Horchposten lag. Ich musste neben Vaters Stuhl antreten, und er erläuterte mir in allen Einzelheiten meine Zukunft, und dass du mir ja gut zuhörst, ich sage es nicht zweimal: Ich sei ein kluges Kind, ich müsse meine intellektuellen Fähigkeiten nutzen, und wenn die Einsteins in der Schule meine Begabung nicht erkannten, werde er sie persönlich darüber aufklären müssen.
    »Mich wundert, dass du nicht noch unausstehlicher warst«, hast du einmal zu mir gesagt.
    Warum? Weil sie mir sagten, ich sei intelligent? Ich wusste, dass ich es war. So wie man groß oder dick oder brünett ist. Mich hat das nicht die Bohne interessiert. Genauso wenig wie die Messen und Predigten, die ich geduldig über mich ergehen ließ, die auf Bernat dagegen große Wirkung hatten. Ich glaube, von Bernat habe ich dir noch gar nicht erzählt.Und dann zog mein Vater ein Kaninchen aus dem Hut: »Und jetzt fangen wir mit dem Deutschunterricht zu Hause richtig an, mit einem richtigen Lehrer. Schluss mit Romeus, Casals und Konsorten.«
    »Aber ich …«
    »Und mehr Französisch.«
    »Vater, aber ich will …«
    »Du hast nichts zu wollen. Und damit du Bescheid weißt«, er zielte mit dem Finger auf mich wie mit einer Pistole, »Aramäisch wirst du auch noch lernen.«
    In der Hoffnung auf Unterstützung schielte ich zu meiner Mutter hinüber, doch sie hielt die Augen gesenkt, als interessierte sie sich für die Bodenfliesen. Ich musste mich ganz allein verteidigen und schrie: »Ich will überhaupt kein Aramäisch können!« Was gelogen war. Aber ich sah eine Unmenge Arbeit auf mich zukommen.
    »Und ob du willst.« Leise, kalt, unnachgiebig.
    »Nein.«
    »Leg dich nicht mit mir an.«
    »Ich will kein Aramäisch können. Und sonst auch nichts!«
    Vater fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als hätte er unerträgliche Kopfschmerzen, blickte auf den Tisch und sagte sehr leise, da opfere ich mich für dich auf, damit aus dir der brillanteste Schüler wird, den Barcelona je

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