Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
Fässer, Eichenholz aus Virginia und Portugal, Sulfite, Lagerfähigkeit, Luftfeuchte, Lichtverhältnisse, Korkeichen, Flaschenverschlüsse, Korkdynastien, Exporteure für Wein, Trauben, Korken, Fasshölzer, Biographien großer Önologen, Chroniken von Winzerfamilien, Bildbände über die Vielfarbigkeit von Weinbergen. Bodenarten. Herkunftsgarantie, geprüfte Qualität, geschützte Namen, dazu die entsprechende Gesetzgebung, Listen, Karten, Limits und so weiter. Die großen Jahrgänge der Historie. Weingüter, Weingegenden, Weinanbaugebiete. Interviews mit Önologen und Unternehmern. Die Welt der Weinbehältnisse. Der Champagner. Der Cava. Der Schaumwein. Der Wein in der Gastronomie. Weißwein, Rotwein, Roséwein, junger Wein, alter Wein. Dessertweine und Rancios. Und ein Bereich, der den süßen und trockenen Likören gewidmet war. Die Klöster und ihre Liköre. Chartreuse, Cognac und Armagnac, Brandy, Whisky aus aller Welt, Bourbon, Calvados, Grappa, Schnäpse, Tresterbrand, Anis, Wodka; die Destillation als solche. Das Universum des Rums. Temperaturen. Weinthermometer. Sommeliers, die in die Geschichte eingegangen sind … Als Adrià den Raum betrat, machte er das gleiche überraschte und staunende Gesicht wie Matthias Alpaerts beim Betreten seines Arbeitszimmers.
    »Nicht zu fassen«, sagte er schließlich. »Du ein Gelehrter in Sachen Wein, und deine Schwester, die ihn immer mit Zitronensprudel verdünnt aus dem Porró getrunken hat.«
    »Das kommt in den besten Familien vor. Dennoch gibt es feine Unterschiede: Gegen den Porró an sich ist nichtseinzuwenden. Gegen die Zitronenlimonade sehr wohl. Bleib zum Essen«, setzte er hinzu. »Giorgio ist ein ausgezeichneter Koch.«
    Wir setzten uns mitten in die Welt des Weins, zwischen uns die stumme Frage, was willst du, worüber willst du mit mir reden, warum?, die auszusprechen Max sich verkniff. Zudem umgab uns eine von Meeresluft durchwehte Stille, die dazu verführte, nichts zu tun, den Tag friedlich vorüberziehen zu lassen und ihn sich von niemanden und von keinem Gespräch verderben zu lassen. Es war schwierig, das Thema zur Sprache zu bringen.
    »Was willst du, Adrià?«
    Es ließ sich nicht leicht in Worte fassen. Denn Adrià wollte wissen, was zum Kuckuck sie Sara erzählt hatten, dass sie über Nacht die Flucht vor mir ergriffen hat, ohne jede Ankündigung, ohne …
    In dem folgenden Schweigen war nur die sanfte, salzige Brise zu hören.
    »Hat Sara dir das nicht gesagt?«
    »Nein.«
    »Hast du sie danach gefragt?«
    »Ja, aber sie sagte, frag mich das nie wieder, Adrià, es ist besser, du …«
    »Wenn sie das gesagt hat, wie soll ich dann …«
    »Max, sieh mich an. Sie ist tot. Sara ist tot! Und ich will, verdammt noch mal, wissen, was damals passiert ist.«
    »Vielleicht spielt das ja jetzt gar keine Rolle mehr.«
    »Für mich spielt es eine Rolle. Deine Eltern und meine Eltern sind auch tot. Aber ich habe ein Recht, zu erfahren, worin meine Schuld besteht.«
    Max stand auf, ging zum Fenster, als verdiente eine bestimmte Stelle der Aussicht, die im Fensterrahmen hing wie ein Seestück, seine besondere Aufmerksamkeit. Eine Weile betrachtete er das Bild in allen Einzelheiten. Oder vielleicht dachte er auch nach.
    »Du weißt also nichts davon«, sagte er schließlich, ohne sich nach mir umzudrehen.
    »Ich weiß nicht einmal, wovon ich etwas wissen sollte.«
    Dass er so herumdruckste, machte mich nervös. Ich rang um Gelassenheit. Und versuchte, mich präziser auszudrücken:
    »Das Einzige, was Sara mir gesagt hatte, als wir uns in Paris wiedersahen, war, dass ich ihr einen Brief geschrieben haben soll, in dem stand, sie sei eine räudige Jüdin und könne mich mitsamt ihrer scheißarroganten Familie einwecken lassen.«
    »Uff. Das wusste ich nicht.«
    »So in etwa, sagte sie. Aber das hatte ich nicht geschrieben!«
    Max machte eine unbestimmte Geste und ging aus dem Zimmer. Nach einer Weile kam er mit einer gekühlten Flasche Weißwein und zwei Gläsern zurück.
    »Mal sehen, was du von dem hältst.«
    Adrià musste seine Unruhe bezähmen, den Saint-Émilion kosten und sich bemühen, die Aromen herauszuschmecken, die Max ihm aufzählte. So leerten sie langsam in kleinen Schlucken das erste Glas und sprachen über den Geschmack des Weins und nicht über das, was ihre Mütter Sara erzählt hatten.
    »Max.«
    »Ja, ich weiß.«
    Er schenkte sich noch ein halbes Glas ein und kippte es herunter, nicht wie ein Weinkenner, sondern eher wie ein Säufer. Dann

Weitere Kostenlose Bücher