Das Schweigen des Sammlers
als er mir vor dem gelben Modigliani als stummem, entsetztem Zeugen einen Schnellkurs in Beihilfe zum Selbstmord aus Liebe erteilte. Und mir war klar, dass ich diese Kenntnisse niemals anwenden würde. Ich verbrachte zwei einigermaßen ruhige Wochen, bis Sara mir eines Tages in die Augen sah und fragte, wann, Adrià? Ich öffnete den Mund. Ich blickte auf zu der bbeschissenen Zimmerdecke, sah Sara an, wusste nicht, was ich sagen sollte, und stammelte nur, ich habe mit Dalmau …, ich bin …, weißt du?
Am folgenden Tag starbst du von allein. Ich bin sicher, du starbst von allein, weil du eingesehen hattest, dass ich ein Feigling war, weil dein Wunsch zu sterben zu stark war und ich nicht den Mut hatte, dich auf dem letzten Stück zu begleiten und es dir zu erleichtern. Frau Doktor Real vermutete, die Blutung infolge der Sturzverletzungen sei wohl trotz der Medikation nicht zum Stillstand gekommen, und nicht einmal im Krankenhaus habe man etwas tun können. Du gingst dahin, während die Ausstellung deiner Bilder noch lief. Und Max, der mit Giorgio kam, sagte weinend, was für ein Jammer, dass sie nichts von dem Buch gewusst hat; wir hätten es ihr sagen sollen.
So war es, Sara. Weil ich nicht imstande war, dir zu helfen,musstest du allein gehen, in Eile, heimlich, ohne einen Blick zurück, ohne dich zu verabschieden. Verstehst du meine Aufgewühltheit?
57
»Adrià?« Schon diesem einen Wort war Max’ Erregung anzuhören.
»Ja.«
»Ich habe dein Fax erhalten.«
»Ist das gut so?«
»Nein. Nein, überhaupt nicht.«
»Na ja, mit dem Faxgerät stehe ich auf Kriegsfuß. Wahrscheinlich habe ich den falschen Knopf gedrückt …«
»Adrià.«
»Ja.«
»Das Fax ist einwandfrei zu lesen. Du hast den richtigen Knopf gedrückt, und es ist bei mir angekommen.«
»Schön. Dann ist ja alles klar, nicht?«
»Alles klar? Weißt du, was du mir da geschickt hast?« Er klang wie die Trullols, wenn sie wollte, dass ich G-Dur-Akkorde spielte, und ich in D-Dur anfing.
»Na, die biographische Note für Saras Buch.«
»Ach. Und mit welcher Note hast du angefangen?«, fragte die Trullols. »Hör mal, was ist denn los mit dir?«
»Wo soll das hin?« Das war jetzt wieder Max.
»An den Schluss des Buches. Einverstanden?«
»Nein. Ich lese dir einmal vor, was du mir geschickt hast.«
Das war kein Vorschlag, es war eine Warnung. Und gleich darauf hörte ich, Sara Voltes-Epstein wurde neunzehnhundertfünfzig in Paris geboren und lernte als sehr junges Mädchen einen Idioten kennen, der sich in sie verliebte, sie aber trotz seiner guten Absichten nicht glücklich machen konnte.
»Hör zu, ich …«
»Soll ich weiterlesen?«
»Brauchst du nicht.«
Doch Max las den Rest. Er war sehr verärgert, und als ergeendet hatte, entstand ein unbehagliches Schweigen. Ich schluckte und sagte, Max, das habe ich dir geschickt?
Immer noch Schweigen. Ich sah die Papiere auf meinem Tisch durch. Er war übersät von den Examensarbeiten in Ästhetik, die ich korrigieren musste. Bestimmt hatte Lola Xica alles durcheinandergebracht. Und da waren noch mehr Papiere und … Warte. Ich fischte das Blatt heraus, das ich auf der Olivetti getippt und per Fax verschickt hatte, und überflog es.
»Du lieber Himmel.« Pause. »Bist du sicher, dass ich dir das geschickt habe?«
»Ja.«
»Entschuldige.«
Max klang ein wenig beschwichtigt.
»Wenn du nichts dagegen hast, formuliere ich die Kurzbiographie. Die Angaben zu den Ausstellungen habe ich schon.«
»Danke dir.«
»Schon gut, und verzeih …, ich bin ein bisschen hektisch. Die Druckerei will den Text sofort, wenn das Buch noch erscheinen soll, bevor die Ausstellung zu Ende ist.«
»Wenn du willst, versuche ich …«
»Auf keinen Fall, das übernehme ich.«
»Danke, Max. Grüße an Giorgio.«
»Werde ich ausrichten. Übrigens, warum schreibst du beschissen mit zwei B?«
Ich legte auf. Dies war das erste Alarmzeichen, aber das wusste ich damals noch nicht. Wieder wühlte ich in den Papieren auf meinem Tisch. Es gab nur diesen einen Text. Besorgt las ich ihn noch einmal durch. Ich hatte geschrieben, Sara Voltes-Epstein wurde neunzehnhundertfünfzig in Paris geboren und lernte als sehr junges Mädchen einen Idioten kennen, der sich in sie verliebte, sie aber trotz seiner guten Absichten nicht glücklich machen konnte. Nach einem schmerzhaften Hin und Her aus Trennungen und Versöhnungen ließ sie sich schließlich auf besagten Idioten ein, mit dem sie viele (viel zu wenige) Jahre zusammenlebte,
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