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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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ausgewählte Gedichte und fühlte mich in meinem Bücheruniversum wie im Schlaraffenland, wo die Poesie eine Frucht war, nach der ich nur die Hand auszustrecken brauchte. Betrat ich den Bereich Essay, fühlte ich mich als Gefährte derer, die versucht hatten, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Doch jetzt streifte ich hindurch wie ein Schlafwandler, ohne auch nur die Titel wahrzunehmen, niedergeschlagen, nur Saras Leiden vor Augen. An Schreiben war nicht zu denken. Ich nahm mir meinManuskript vor und versuchte mich einzulesen in das, was ich zuletzt geschrieben hatte, aber dann sah ich dich vor mir, wie du sagtest, töte mich, wenn du mich liebst, oder ich stellte mir vor, wie du jahrelang still, duldsam, gefasst daliegst und ich alle fünf Minuten dein Zimmer verlassen muss, um vor Wut zu schreien. Ich fragte Dora, ob sie deine abgeschnittenen Haare aufgehoben hätte …
    »Nein.«
    »Schade …«
    »Sie hat mich gebeten, sie fortzuwerfen.«
    »Verflixt, aber …«
    »Ja, schade. Das habe ich auch gedacht.«
    »Habt ihr wirklich auf sie gehört?«
    »Es ist unmöglich, nicht auf deine Frau zu hören.«
    Und die Nächte waren lang und schlaflos. Ich musste die seltsamsten Dinge tun, um einschlafen zu können, wie zum Beispiel Texte auf Hebräisch lesen, der Sprache, die ich am meisten vernachlässigt hatte, weil sich wenig Gelegenheit ergab, mich damit zu beschäftigen. Ich suchte mir Texte aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert und einige zeitgenössische heraus und vergegenwärtigte mir die verehrungswürdige Assumpta Brotons mit ihrem Zwicker und diesem halben Lächeln, das ich zuerst für einen Ausdruck von Sympathie gehalten hatte, das sich aber dann, wenn ich mich recht entsinne, als eine Gesichtslähmung erwies. Und die große Geduld, die sie aufbrachte. Und mich aufzubringen zwang.
    »Achat.«
    »Aschat.«
    »Achat.«
    »Ahat.«
    »Sehr gut. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Schtajm.«
    »Schtaim.«
    »Sehr gut. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Schalosch.«
    »Schalosch.«
    »Sehr gut. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Arba.«
    »Arba.«
    »Chamesch.«
    »Chamesch.«
    »Ganz genau, sehr gut!«
    Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen, denn im Grunde war mir alles gleich, weil all mein Sehnen nur dir galt. Ich legte mich nach Mitternacht schlafen, und um sechs Uhr morgens war ich noch immer hellwach. Dann döste ich für ein paar Minuten ein, und noch bevor Lola Xica kam, war ich rasiert, geduscht und, wenn ich keine Vorlesung hatte, bereit, mich auf den Weg ins Krankenhaus zu machen, wo Gott doch bitte ein Wunder geschehen lassen möge.
    Bis es mir irgendwann so peinlich wurde, dass ich mir vornahm, mich einmal wirklich an Saras Stelle zu versetzen und ernsthaft zu versuchen, sie zu verstehen. Und am nächsten Tag sprach ich Dora an, die zwar nicht so ängstlich war wie ich, dem Ansinnen aber sehr ablehnend gegenüberstand, immerhin handele es sich ja nicht um eine unheilbare Krankheit, vielmehr könne Sara noch Jahre so weiterleben …, und ich hörte mich für Saras Argumentation plädieren, die letztlich stets in diesem Tu es aus Liebe zu mir gipfelte. Wieder stand ich allein da. Allein mit deinem Wunsch, deiner flehentlichen Bitte. Aber ich brachte es nicht über mich. Und eines Abends sagte ich zu Sara, ja, ich werde es tun, und sie lächelte und sagte, wenn ich mich bewegen könnte, würde ich dich abknutschen. Und ich wusste, dass ich gelogen hatte, denn ich war keineswegs entschlossen, es tatsächlich zu tun. Am Ende habe ich dich immer angelogen, Sara, diesbezüglich und was die Rückgabe der Geige anging, denn ich behauptete, meine Nachforschungen machten Fortschritte und ich sei im Begriff, Kontakt aufzunehmen zu … Es war ein klägliches Lügengebäude, das ich nur errichtete, um Zeit zu schinden.Zeit wofür? Um die Angst vor mir herzuschieben, zu denken, die Zeit wird’s schon richten, und ähnliche Dinge. Ich beriet mich mit Dalmau, der mir nahelegte, Frau Doktor Real aus der Sache herauszuhalten.
    »Das klingt ja, als redeten wir von einem Verbrechen.«
    »Nach den hierzulande geltenden Gesetzen ist es ein Verbrechen.«
    »Warum hilfst du mir dann?«
    »Weil es nicht nur Gesetze gibt, sondern auch die Fälle, die das Gesetz nicht zu regeln wagt.«
    »Dann bist du also mit mir einer Meinung?«
    »Was willst du? Eine schriftliche Erklärung?«
    »Nein. Entschuldige. Ich … also …«
    Er nahm mich beim Arm, drückte mich auf einen Stuhl, und obwohl wir uns in seiner Praxis befanden, senkte er die Stimme,

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