Das Schweigen des Sammlers
Mit dir hat das nichts zu tun. Tatsache aber ist, dass er einen Cousin meiner Eltern und dessen Familie in den Ruin getrieben hatte. Zuerst in den Ruin und dann in den Tod.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Du brauchst nichts zu sagen.«
»Jetzt kann ich deine Mutter ein wenig verstehen. Aber ich liebte Sara.«
»Capuleti und Montecchi, Adrià.«
»Und ich kann den Schaden, den mein Vater angerichtet hat, nicht wiedergutmachen?«
»Trink lieber dein Glas aus. Was willst du wiedergutmachen?«
»Du hast nichts gegen mich.«
»Die Liebe meiner Schwester zu dir hat es mir leicht gemacht.«
»Aber sie ist nach Paris geflüchtet.«
»Sie war noch ein Kind. Unsere Eltern hatten sie nach Paris geschickt. Mit zwanzig Jährchen ist man noch nicht in der Lage … Sie haben ihr eine Gehirnwäsche verpasst. Ganz einfach.«
Wieder Schweigen, und das Meer, das Plätschern der Wellen, die Schreie der Möwen, das Säuseln der Brise; sie gingen zurück ins Haus. Nach einer Ewigkeit:
»Und bei unserem letzten Streit flüchtete sie wieder. Hierher nach Cadaqués.«
»Und war jeden Tag in Tränen aufgelöst.«
»Davon hast du mir nie etwas gesagt!«
»Sie hatte es mir verboten.«
Adrià leerte sein Glas und dachte, zum Abendessen würde sicher noch mehr Wein serviert. Ein Glöckchen erklang, wie auf einem Passagierdampfer aus dem neunzehnten Jahrhundert, und Max erhob sich gehorsam.
»Wir essen auf der Terrasse. Giorgio wartet nicht gern, wenn das Essen fertig ist.«
»Max.« Max blieb stehen, das Tablett mit den Gläsern in den Händen. »Hat Sara nie von mir gesprochen, als sie hier bei euch war?«
»Sie hat mir verboten, dir irgendetwas darüber zu sagen, was hier besprochen wurde.«
»In Ordnung.«
Max setzte sich in Bewegung. Doch bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte, meineSchwester hat dich wahnsinnig geliebt. Er senkte die Stimme, damit Giorgio ihn nicht hörte. »Deshalb war sie so enttäuscht, dass du nichts unternommen hast, um eine gestohlene Geige zurückzugeben. Das hat sie fast um den Verstand gebracht. Gehen wir?«
O Gott, Liebste.
»Adrià?«
»Ja?«
»Wo bist du?«
Adrià sah Doktor Dalmau an und blinzelte. Jetzt erst nahm er den Modigliani mit dem vielen Gelb wahr, obwohl er ihn die ganze Zeit direkt vor Augen gehabt hatte.
»Wie bitte?«, fragte er verwirrt und musste sich zunächst besinnen, wo er war.
»Hast du Aussetzer?«
»Ich?«
»Du … starrst schon seit einer Weile Löcher in die Luft.«
»Ich war in Gedanken«, sagte Adrià entschuldigend.
Doktor Dalmau sah ihn ernst an, und Adrià lächelte und sagte, ja, Löcher in die Luft starren, das konnte ich schon immer gut. Dann muss ich mir immer anhören, ich sei ein zerstreuter Professor. Auch von dir.
Doktor Dalmau lächelte, und Adrià ergänzte:
»Professor stimmt ja, und zerstreut auch immer öfter.«
Wir unterhielten uns über Dalmaus Kinder, sein Lieblingsthema, Sergi, den Kleinen, der überhaupt keine Probleme machte, Alícia allerdings … Und mein Freund ließ mehrere Monate Revue passieren, in Echtzeit, wie es mir vorkam. Beim Abschied zog ich ein Exemplar von Lull, Vico und Berlin aus der Tasche und signierte es: Für Joan Dalmau, der seit seinem zweiten Anatomiekurs über mich wacht. In tiefer Dankbarkeit.
»Für Joan Dalmau, der seit seinem zweiten Anatomiekurs über mich wacht. In tiefer Dankbarkeit. Barcelona, im Frühling 1998.« Erfreut sah Dalmau ihn an. »Danke, mein Lieber. Du weißt, dass ich das sehr zu schätzen weiß.«
Ich wusste, dass Dalmau meine Bücher nicht las. Sie standen sorgsam aufgereiht ganz oben im Regal seines Sprechzimmers. Links von dem Modigliani. Aber ich schenkte sie ihm nicht, damit er sie las.
»Danke, Adrià«, sagte er und schwenkte das Buch. Wir standen auf.
»Es ist nicht dringend«, sagte Dalmau noch, »aber ich würde dich gern einmal gründlich untersuchen.«
»Ach ja? Na, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir das Buch nicht mitgebracht.«
Lachend verabschiedeten sich die beiden Freunde. Es war kaum zu glauben, aber Dalmaus halbwüchsige Tochter hing noch immer am Telefon und sagte gerade, natürlich ist er ein totaler Arsch, das habe ich dir doch schon tausendmal gesagt!
Draußen auf der Straße umfing mich die regnerische Nacht von Vallcarca. Die wenigen Autos fuhren achtlos spritzend durch die Pfützen. Wenn ich es nicht einmal fertigbrachte, mit meinen Freunden über meine Qualen zu reden, war ich wirklich nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher