Das Schweigen
aufrechter Körperhal-
tung wohin auch immer.
16
Kimmo Joentaa saß auf dem Steg. In dem klapprigen
Schaukelstuhl, in dem Sanna gesessen hatte, in den letz-
ten Monaten ihres Lebens. Eingehüllt in Decken.
Kimmo war gleich nach seiner Heimkehr an den See
hinunter gelaufen und hatte den Schaukelstuhl aus dem
Schuppen geholt, in dem er die vergangenen zwei Jahre
lang gestanden hatte.
Er sah die ruhige Wasserfläche und dachte an den an-
deren See, an den silbernen Sportwagen, an den zusam-
mengekrümmten Körper auf dem Fahrersitz.
Er erinnerte sich an den Tag, an dem er gemeinsam
mit Sanna den Schaukelstuhl gekauft hatte, in einem
Einrichtungscenter, zu einem günstigen Preis. Kurz
nachdem sie sich kennengelernt hatten und kurz bevor
sie zusammengezogen waren.
Sanna hatte den Stuhl getragen wie eine Trophäe
und ihn im Kofferraum verstaut, ganz ähnlich wie Ke-
tola das Modell auf Rädern in seinem Kofferraum ver-
staut hatte. Im Schneetreiben. Vor nicht allzu langer
Zeit.
Der Schaukelstuhl war an einigen Stellen feucht und
morsch. Er hatte eigentlich im Trockenen gestanden,
Sanna hatte ihn bei Regen und Schnee immer in den
Schuppen gestellt, aber der Stuhl hatte dennoch Wasser-
spritzer abbekommen, jedes Mal, wenn Sanna aufge-
standen, an den Rand des Steges getreten und kopfüber
ins Wasser gesprungen war. Das war früher gewesen,
nicht mehr in den Monaten vor ihrem Tod, denn
Sanna hatte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Kraft
gehabt zu schwimmen.
Irgendwann, dachte Kimmo, irgendwann, wenn er
gerade gar nicht damit rechnete, würde dieser Stuhl
unter seinem Gewicht nachgeben, und Sanna, würde sie
es sehen können, würde sicher lachen, wenn sie ihn so
auf dem Steg liegen sah, mit der abgebrochenen Lehne
in der Hand.
Er schloss die Augen und versuchte eine Weile, Ord-
nung in seine Gedanken zu bringen, aber es war nicht
möglich, es war vollkommen unmöglich, und er ließ
sich treiben.
Er sah flackernde, unscharfe Bilder und hörte Worte,
die gesprochen worden waren. Heute oder vor vielen
Jahren. Oder vielleicht jetzt erst, in diesem Moment, in
seiner Phantasie.
Sanna, eingehüllt in Decken. Sundström, der alles
auf den Punkt brachte. In klaren, nachvollziehbaren Sät-
zen. Im grell beleuchteten Besprechungsraum. Im sel-
ben Raum, in dem Ketola eine Ewigkeit zuvor das Ver-
schwinden von Pia Lehtinen erörtert hatte. Ketola, im
Schatten, den Kopf auf die Arme gestützt, vor einem
Computerbildschirm. In einem fremden Haus, in einem
Raum, der aus perfekten rechten Winkeln bestand. Die
Mitarbeiter des Bergungsteams, die geduldig ihre Arbeit
taten. Zug um Zug. Meter für Meter. Elina Lehtinen im
Garten ihres Hauses. Blaubeerkuchen und Tee in wie-
ßen Tassen. Pia, laut lachend auf einem Foto, und Si-
nikka, die ernst in die Kamera blickte. Niemi, der gesagt
hatte, Sinikka sei traurig. Ganz einfach traurig. Ein
Junge, der ihm etwas zurief, und ein roter Fußball. Und
eine Visitenkarte. Timo Korvensuo, Immobilienmakler.
Eine Nummer, unter der Timo Korvensuo, Immobilien-
makler, nicht mehr zu erreichen war. Aber die Frau, die
ihnen die Tür geöffnet hatte, in Erwartung ihres Sohnes.
Aku. Auf Wiedersehen, Herr Joentaa. Eine Nummer, die
er nicht wählen würde. Und das vage Gefühl, etwas ge-
sehen zu haben. Zu einem nicht näher zu bestimmen-
den Zeitpunkt. Etwas ohne jeden Zweifel Nebensäch-
liches.
Sie hatten im Besprechungsraum gesessen, und
Sundström war gerade dabei gewesen, den Immobi-
lienmakler Timo Korvensuo in knappen, klaren Sätzen
in den Gesamtkontext ihrer Ermittlungen zu integrie-
ren, als der Anruf der Kollegen aus Helsinki gekommen
war. Kimmo musste fast lachen bei dem Gedanken an
Sundströms irritiertes Gesicht, Sundström, der gerade
so gut in Fahrt gewesen und jäh ausgebremst worden
war.
Die Zeiten stimmten nicht. So einfach war das. Timo
Korvensuo war am Sonntag nach Turku gefahren, am
Freitag, zum Zeitpunkt von Sinikka Vehkasalos Ver-
schwinden, war er noch in Helsinki gewesen. Das bestä-
tigte sein Mitarbeiter im Maklerbüro. Das bestätigte
seine Frau, Marjatta. Das bestätigte auf Heinonens
Nachfrage auch das Hotel in Turku.
»Muss alles nichts heißen«, hatte Sundström nach
einer Weile des Nachdenkens gesagt. »Er kann natürlich
am Freitag mittags in Turku gewesen sein und am
Abend wieder in Helsinki. Das ist kein Problem.«
»Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Korven-
suos Mitarbeiter aber
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